Das Ende Der Ausreden
verbringen eine beträchtliche Zeit in Konjunktivwelten. Sie bewirtschaften Illusionen, die ihnen helfen, mit der Abwesenheit des Angestrebten zurechtzukommen. Sie leben nicht das Leben ihrer Träume – sie stellen es sich nur vor. Dabei sollte es umgekehrt sein, wie ich neulich auf einer Postkarte las: Gib deinem Sinn ein Leben!
Statt zu unseren Entscheidungen zu stehen, machen wir andere verantwortlich
Wenn ich meine Entscheidungen als meine Entscheidungen betrachte, gibt es keinen Grund, irgendjemandem etwas vorzuwerfen. Das beginnt mit den kleinen Dingen des Lebens: Ich kann es mir wirklich sparen, dem anderen vorzuhalten, dass der Kinofilm, den er ausgesucht hat, blöd war, und ich viel lieber auf dem Sofa geblieben wäre. Dann hätte ich da sitzen bleiben sollen. Und es geht mit größeren Fragen weiter: Wenn ich mit meinem Partner in die Provinz ziehe, sollte ich nicht beklagen, dass ich das seinetwegen getan habe, schließlich hat er mich nicht verschleppt. Wenn ich wieder in die Großstadt will, muss ich verhandeln, unerfreuliches Nachkarten hingegen vergiftet jede Beziehung. Und in den wirklich großen Fragen des Lebens sollte ich erst recht keinen anderen für meine Entscheidungen verantwortlich machen als mich selbst.
Die Work-life-Balance: Ein Problem, das in Wahrheit niemand lösen will
Eine Klage, die ich in meiner Arbeit mit Führungskräften besonders häufig höre, lautet: Man arbeitet zu viel, die Familie, der Partner, die Hobbys, das eigene Leben kommen zu kurz. Man spürt vielleicht erste körperliche Indizien von Überlastung, die Kurzurlaube reichen nicht mehr, um die Batterien aufzuladen, es stellen sich Ein- oder Durchschlafstörungen ein, manchmal ist man gereizt … die Varianten sind beliebig. Über die fehlende Work-life-Balance kann man lange reden.
Viel schwieriger ist die Frage nach dem Ziel.
»Na ja, mehr Balance eben. Mehr Zeit für die Familie.« Nehmen wir an, das sei das formulierte Ziel. Gut. Wir schreiben es auf einen Zettel. Und fangen an, nach Lösungen zu suchen.
Man könnte jeden Tag pünktlich um fünf Uhr nach Hause gehen, egal, was noch auf dem Schreibtisch liegt. »Geht nicht! Im Moment gibt es dieses wichtige Projekt.« Aha. Nach dem Projekt? »Tja, schwierig, ich will mich ja mit nine to five nicht aus dem Rennen schießen, dann ziehen ja die Jungen an mir vorbei!« Ach so. Das bedeutet, das Ziel heißt anders. Es könnte lauten: »Ich will mehr Zeit für die Familie haben und zugleich wettbewerbsfähig bleiben«?
Jetzt gibt es natürlich deutlich weniger Optionen. Denn wir haben zwei widerstreitende Ziele. Jetzt müsste man priorisieren und Kompromisse suchen. Alles andere ist Zauberei.
Fast immer landen Gespräche zur Work-life-Balance in der Beweisführung, dass sie aktuell einfach nicht herstellbar sei. Besser gesagt, es stellt sich heraus, dass man nicht bereit ist, die für eine veränderte Lebensführung fällig werdenden Kosten zu zahlen. In Wirklichkeit heißt es: Das Ziel ist kein Ziel. Es klingt nur gut. Vor allem, wenn der Druck meiner Familie wächst.
Selbstverständlich habe ich ein Problem. Es gefällt mir nicht, dass man mir böse ist, wenn ich so spät nach Hause komme, es schmerzt mich, so wenig von der Entwicklung meiner Kinder zu erleben, ich mache mir Sorgen, wie lange meine Ehe das ohne Schaden übersteht. Ich leide darunter. Aber noch nicht genug, noch überwiegen die Vorteile. Daher bin ich (noch) nicht bereit für ein echtes Ziel, geschweige denn eine Lösung. Ich ahne diffus, dass ich nur die einen Nachteile gegen andere tauschen würde. Scheinbar schachmatt. Zurück auf Feld Nummer eins des Opferspielbretts: »Ich bin das Opfer der Bedingungen des Arbeitslebens. Und ich weiß gar nicht, was ich machen soll …!«
Dabei habe ich mich für die Priorität der Arbeit gegenüber der Familie selbst entschieden. Niemand kann mich zwingen, mehr zu arbeiten, als ich möchte. Natürlich würde ich etwas riskieren, wenn ich weniger arbeite, als mein Chef es für richtig hält. Selbstverständlich habe ich Nachteile im Karrierespiel, wenn ich mich den Erwartungen entziehe. Ich kann den Kuchen nicht gleichzeitig essen und behalten. Also müsste ich mich entscheiden, müsste eine neue Wahl treffen. Oder die alte erneuern. Und zu ihr stehen. Ich könnte versuchen, der Familie besser verständlich zu machen, warum ich so gerne so viel arbeite. Und zwar ohne Ausreden – dass ich ja nicht anders könnte . Sondern aufrichtig und ohne Umschweife –
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