Das Ende Der Ausreden
dann bringt es ihr gar nichts, wenn ich wahrheitsgetreu antworten würde. So kreuze ich die Finger, nicke und schicke einen Wunsch ans Universum, dass der kleine Gnom bald so hübsch wird, wie ihn seine Mutter heute schon sieht.
Der gleichen Freundin aber zu raten, sich für ein anderes Kleid zu entscheiden, wenn sie gerade im Begriff ist, sich für einen Ball eine Robe zu kaufen, die sie hundert Kilo schwerer und wie Puttchen Prammel aussehen lässt – das ist für mich eine Frage der Fairness und Freundschaft. Auch wenn ich nicht damit rechnen kann, dass sie von meiner Empfehlung begeistert ist, und wohl für ein paar Minuten eine kleine Unstimmigkeit in der Luft liegen wird.
Es gibt natürlich Themenkreise, bei denen die Wahl zwischen Wahrheit oder Ausrede viel schwerer fällt, weil hier komplexere Entscheidungen zu treffen sind – persönliche, ethische, Fragen der Verantwortung und Konsequenz.
Beichte ich einen Seitensprung (wenn ja, wann?), informiere ich meinen Chef, wenn ich in Verhandlungen für einen neuen Job stehe? Hier auf Fragen ausweichend zu antworten, Ausreden und Alibis (man nimmt sich selten offen für ein Bewerbungsgespräch frei) zu erfinden, hat die Funktion, meinen aktuellen Handlungsspielraum zu schützen. So hoffe ich zu verhindern, einen Konflikt zur Unzeit oder eine unberechenbare Reaktion des anderen zu provozieren. Ich bin nicht in der Verlegenheit, anderen, insbesondere Betroffenen gegenüber bereits offen in die Verantwortung für mein Handeln zu gehen.
Sage ich meiner Schwester, dass mein Schwager sie betrügt? Widerspreche ich meiner Mutter, die anfängt, sonderbare Ansichten zu vertreten? Rede ich einem befreundeten Ehepaar ins Gewissen, sich in einem Streit mit der Tochter, die den falschen Mann heiraten will, nicht zu verrennen? Mische ich mich ein, beziehe ich Position und sage, was ich denke – oder behalte ich meine Meinung für mich?
Es wird keine allgemeingültige Regel geben, die mich vor der persönlichen Abwägung zwischen Wahrheit, Halbwahrheit, Ausrede oder faustdicker Lüge entlastet.
»Ich will den anderen doch nicht verletzen«
Das am häufigsten genannte Motiv, um einen Konflikt zu umgehen, etwas nicht an- oder auszusprechen, lautet: »Damit würde ich den anderen verletzen!«
Ich halte das meist für vorgeschoben. Tatsächlich haben wir unser eigenes Wohl im Auge. Und lassen den anderen nicht selten den Preis für unsere Konfliktvermeidung bezahlen. Wir enthalten ihm eine zwar unangenehme, aber für ihn relevante Information vor und verzichten auf das, was man aktive Wahrhaftigkeit nennt. Warum kneifen wir? Weil wir so sorgsam mit den Gefühlen der anderen umgehen und besonders rücksichtsvolle Zeitgenossen sind? Diese Erklärung ist sehr schmeichelhaft für uns. Aber wenn wir wirklich primär das Wohl des anderen im Auge hätten, würden wir mit Gelassenheit ertragen, dass er seine Verletztheit in Ärger auf uns wendet. Nein, wir schonen nicht ihn, sondern uns selbst. Wir erklären uns zu Opfern unserer Großmut, und in diesem Licht können wir dann unsere Konfliktscheu fein verbergen.
»Das würde ihn/sie doch völlig demotivieren!«, sagen Führungskräfte oft als Begründung, warum sie einem Mitarbeiter kein klares Feedback über Punkte geben, die ihnen ein Dorn im Auge sind. Man muss den Mitarbeiter sozusagen davor schützen, über ein erkanntes und kommuniziertes Defizit alsbald in Depressionsstarre zu verfallen. Können Mitarbeiter wirklich so schlecht mit Kritik umgehen?
Insbesondere Kreativen gegenüber gibt es eine oft große Hemmung der Vorgesetzten, Kritik zu äußern. Die sensiblen Schreiber würden sofort die goldene Feder, die Musiker den Cellobogen fallen lassen, der beleidigte Dompteur würde mit seinen Raubkatzen nach Panama auswandern?
Man befürchtet Schlimmes, wenn man dem Mitarbeiter sagt, dass er zu ineffizient, zu wenig teamorientiert oder zu wenig kreativ sei. Dabei ist es wohl eher die Angst, mit der Reaktion des Mitarbeiters selbst nicht richtig umgehen zu können. Sodass dann die Situation hinterher schlechter wäre als vorher: Der Mitarbeiter ist weiterhin ineffizient und zudem verstimmt. Was soll das für einen Vorteil haben?
Machen wir uns nichts vor: Die Sorge, den anderen zu verärgern, ist keine Menschenfreundlichkeit. Sondern mangelndes Vertrauen in die eigene Fähigkeit, auch mit einem ärgerlichen anderen im Gespräch zu bleiben und gemeinsam zu einer echten Verbesserung der Situation zu kommen. Da kommt es
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