Das Ende Der Ausreden
neu beginnen. Dieser Satzanfang heißt: »Ich habe nichts (Unrechtes) getan!« Mit diesem Text tritt der Verstorbene vor die Götter im Totengericht, das über seinen weiteren Verbleib im Jenseits entscheiden wird. So rechtfertigt er sein irdisches Dasein in der Hoffnung auf ewiges Leben.
Unsere Strategie in den kindlichen Konflikten war meistens keine direkte Überlebensfrage, aber doch schon sehr wichtig. Niemand will ohne Not der Blöde sein. Es gab reichlich Gelegenheit – im Kindergarten, in der Schule, zu Hause -, diese Formel kennenzulernen und sie als tauglich zu erachten. Also behalten wir sie bei. Manchmal natürlich bewusst und taktisch, meist aber, weil wir von unserer Version wirklich überzeugt sind.
Ein Mann sagt: »Wenn du nicht immer so trödeln würdest, müsste ich dich nicht so drängen.« Sie kontert: »Wenn du mich nicht ewig so drängen würdest, könnte ich schneller sein.« Beide betrachten ihr Verhalten als Reaktion auf das, was der andere tut. Beide haben – natürlich – recht. Nur: Wenn beide darauf beharren, wird der Streit ewig weitergehen. Mit großen Lettern steht die Conclusio am Ende ihrer jeweiligen Konfliktschilderung, und die heißt: Weil ich nicht angefangen habe … soll der andere auf die Knie fallen, sich entschuldigen, sein Verhalten ändern, überhaupt ganz anders werden!
Es ist so, als ob die eigene Version des Geschehens die Beteiligten wie an einer Longe immer im Kreis um den Konflikt herumführt. Keiner ist bereit, seinen Blick auf etwas anderes zu richten. Verbissen, engagiert, uneinsichtig. Solange du dich nicht bewegst, rühre ich mich auf keinen Fall! Das bedeutet in der Konsequenz: Wenn ich meine Deutung des Konfliktes behalten und durchsetzen will, bin ich nicht interessiert, etwas zur Lösung beizutragen. Ich halte am Konflikt fest.
Ich werde mich erst dann vom Konflikt lösen, wenn ich mich durchringe, eine Einigung in Betracht zu ziehen, statt auf einer Kapitulation des Gegners zu bestehen. Einigung heißt: anzuerkennen, dass wir beide recht haben. Genau dieses nicht zu tun, ist aber der Kern jeden Konfliktes.
Es wird sich erst dann etwas bewegen, wenn mir der andere wichtig genug ist, um meine ja letztlich ungebrochene Überzeugung, dass ich mehr recht habe, hintanzustellen. Das ist ein schwieriger Prozess. Oft genug ist es mir wichtiger, recht zu behalten.
Wenn man genauer hinschaut, geht es oft um etwas Tieferes: Ich kann mich mit dem anderen nicht einigen, weil mir dazu die Gelassenheit und Größe fehlen, die nur aus einem freundlichen Blick auf mich selbst stammen könnten. Weil ich noch damit befasst bin, dem großen Ankläger zu entkommen.
Und sei es um den Preis einer Beziehung, die ich eigentlich nicht aufgeben müsste.
8 Unsere Selbstverständlichkeiten hindern uns daran, neue Erfahrungen zu machen
Eine der eindruckvollsten Szenen, die ich je im Theater erlebt habe, ist, wenn Galileo Galilei siegessicher die Fernrohre in dem Hof seiner Wirkungsstätte aufgestellt hat; er weiß, dass er mit ihnen beweisen kann, dass entgegen dem kirchlichen Dogma ein neuer Stern am Himmel erschienen ist. Er wird die Existenz der Jupitermonde demonstrieren und die Zweifel besiegen. Dann kommen die Schwarzgekleideten der Signoria – und: Sie schauen einfach nicht hinein in die bereitgestellten Instrumente. Das müssen sie nicht, sagen sie, denn da ist ja nichts. Warum sollten sie nutzloserweise in ein Fernrohr schauen, das ihnen keine neuen Erkenntnisse liefern wird? Galilei bleibt geschlagen und fassungslos zurück.
Das »Weil nicht sein kann, was nicht sein darf« hat gesiegt. Eine Gewissheit ist dadurch gewiss, dass sie ohne Zweifel ist. Ich handle, ihr folgend, aus meiner Sicht völlig logisch. Solange die Erde der Mittelpunkt des Weltalls ist, ist jeder Zweifel Ketzerei. So verhält es sich stets, wenn es um das geht, was wir Selbstverständlichkeiten nennen.
Wenn wir ins Ausland reisen, dann drängt sich uns in bestimmten Situationen der Eindruck auf, dass die Leute dort komisch sind. Dabei ist es nur so: In anderen Ländern gibt es andere Selbstverständlichkeiten. Man könnte mit solchen Unterschieden rechnen. Je weiter weg man verreist, umso eher tut man das auch. Man erwartet nicht, dass die Eskimos die gleichen Lieder singen oder unsere Vorliebe für Latte macchiato teilen. Das Fremde zu erleben, ist ja der Grund unserer Reise.
Wir fahren in andere Länder, um andere Sitten zu erleben, zu staunen, dazuzulernen, den Horizont zu erweitern.
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