Das Ende Der Ausreden
es nur zu oft die gleiche Dramaturgie.
Er kommt eines Abends nach Hause und hat sich ein teures Cabrio gekauft. Sie fällt aus allen Wolken. So dicke haben sie es eigentlich nicht, und es hätte doch ein neues Familienauto werden sollen. Das Kind ist vier. Er arbeitet viel zu viel, sie wünscht sich ein zweites Kind. Mindestens aber, dass er mit ihr mehr Familienleben teilt. Denn neben dem Beruf pflegt er zeitintensive Hobbys. Sie streiten viel, sie scheut nicht den kleinen Konflikt. Es gibt immer wieder glückliche Zeiten, grundsätzliche Fragen bleiben jedoch ungelöst, zu viele ihrer Sehnsüchte unerfüllt. Als sie ihn nach vierzehn Jahren verlässt, sieht sie sich im Recht: Er hat sich nie wirklich auf sie zubewegt, sie hat alles für den Zusammenhalt der Familie gegeben. Das würde keiner bestreiten, der das Paar kennt.
Nur eines hat sie nicht getan – den großen Konflikt gewagt und eine klare Konsequenz ernst und nachdrücklich in Aussicht gestellt. Nie sind die Worte gefallen: »Ich werde dich verlassen, wenn du nicht endlich mehr Zeit mit uns verbringst.« Natürlich hatte sie gute Gründe dafür. Sie wollte ihn nicht verlassen, sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Die Zeit und sie waren noch nicht reif, eine Drohung auszusprechen, die sie nicht umsetzen wollte.
Das steht nicht zur Diskussion. Aber was passiert wäre, hätte sie diese Klarheit gewagt – wir wissen es nicht.
Noch einmal: Gegen die Vermeidung unnötiger Konflikte ist nichts einzuwenden. Aber nur, wenn wir mit der Entscheidung, nicht darüber zu sprechen, den Konflikt auch wirklich loslassen, wenn wir also aufhören, zu leiden.
Es fängt immer ganz harmlos an: indem man sich auf den anderen herausredet – den man nicht kränken, mit dem man nicht streiten, dem man nicht drohen will … Ihm zuliebe natürlich. Dabei will doch in Wirklichkeit ich das Echo nicht hören. Und vermeide lieber den Konflikt, bis die Trennung »unvermeidbar«(!) geworden ist, wir uns trennen »müssen«.
Achten Sie auf Ihre Formulierungen: Sie zeigen, ob Sie sich gerade aus der Verantwortung herausreden oder sie übernehmen. Wenn Sie verantwortlich handeln wollen, haben Sie in Konflikten immer die Wahl: Sie können den inneren oder den äußeren Weg gehen. Sie können Ihre Haltung zum Konflikt ändern, Ihre Erwartungen revidieren und sich mit dem anfreunden, was Sie bisher gestört hat. Oder Sie gehen ins Gespräch – weil der andere und die Beziehung Ihnen das wert sind.
Wir halten am Konflikt fest, indem wir uns auf das »Ich habe nicht angefangen« zurückziehen
Es gibt Konflikte, die sind unvermeidlich, sie erledigen sich auch durch beharrliches Ignorieren und Herausreden nicht. Irgendwann ist der Teppich, unter den wir alles gekehrt haben, nicht mehr begehbar, unser Partner gibt keine Ruhe mehr, oder unsere Nerven sind durchgeschubbert. Dann müssen wir uns dem Konflikt stellen. Das bedeutet noch nicht, dass wir ihn dann auch aktiv und konstruktiv angehen.
Konflikte werden, so meine Erfahrung aus zwei Jahrzehnten Konfliktmoderation, nach dem gleichen Muster wie Probleme geschildert. Und diese parallele Art der Darstellung hat den gleichen Sinn: Wir halten am Konflikt fest, statt ihn zu lösen.
Die Essenz einer jeden Konfliktschilderung besteht aus vier Worten: Ich. Habe. Nicht. Angefangen! Das sagt man oft nicht explizit, aber die ganze Geschichte atmet diese Aussage, jede Episode ist davon durchtränkt.
Früher haben wir es laut und deutlich gesagt, wenn wir einer von zwei Streithähnen waren, die auseinandergebracht und an den Ohren gezogen wurden. Im Chor haben wir gerufen und auf den anderen gedeutet: »Ich war es nicht! Der hat angefangen!«
Eine sinnvolle Aussage, wenn es um die Frage geht, wer schuld ist, das Taschengeld gekürzt oder Fernsehverbot bekommt. »Ich habe nicht angefangen!« ist die Zauberformel für Strafvermeidung oder -minderung. »Ich war es nicht, der Timmy hat angefangen!« heißt: »Wende dich an ihn, wenn die Fensterscheibe kaputt ist oder er selbst einen Schneidezahn weniger hat. Tut mir leid, aber er hat angefangen!«
Das »Ich habe nicht angefangen, ich bin ohne Schuld!« hat menschheitsgeschichtlich eine bedeutsame Tiefendimension. Im Ägyptischen Museum in Kairo steht eine Grabkammer aus dem zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt. Der gesamte Innenraum ist ausgemalt mit Texten aus dem Totenbuch. Und der Museumsführer zeigt uns, an welchen Stellen die fortlaufenden Verse mit einer bestimmten Formel immer wieder
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