Das Ende Der Ausreden
unter einem neuen Thema meines Lebens, und dieses heißt: Angst. Angst schiebt sich vor mein Gefühl, dass ich so, wie ich bin, sicher und gut bin. Das Kind passt sich an, um wieder in die angstfreie Sicherheitszone zu gelangen. Das ist eine großartige Leistung. Der Preis der gelungenen Anpassung ist, dass das Kind sich ab jetzt selbst auch nur noch dann mag, wenn es die von den relevanten anderen gestellten Bedingungen erfüllt. Ich bin dann okay , wenn ich das tue, was mir Liebe bringt. Und zwar nur dann. Das Kind hat begriffen, dass Liebe nicht umsonst, kein Geschenk, sondern an bestimmte Verhaltensweisen, Leistungen geknüpft ist. Und nur dann, wenn ihm diese gelingen, kann es auch mit sich selbst zufrieden sein. Es hat eine bedingte Liebe zu sich selbst etabliert. Und das ist das eigentliche Problem.
Ein Kind kann zu dieser Zeit nicht entscheiden, sich zwar klug und pragmatisch anzupassen, aber im Inneren trotzdem weiter ungebrochen und umfassend Ja zu sich selbst zu sagen. Ich kann es als Kind nicht als Problem meiner Mutter betrachten, wenn sie sich über mich aufregt. Der Makel ist in die innere Welt gekommen, der Zweifel ist jetzt Untermieter.
Die Anpassungsleistungen, die wir erbringen müssen, um geliebt zu werden, üben wir gewissenhaft. Wir werden Künstler darin. Hier werden unsere späteren Talente angelegt, unsere ganzen Selbstverständlichkeiten und Überempfindlichkeiten.
Nehmen wir an, ein Kind hat gelernt, dass es am ehesten Liebe bekommt, wenn es besonders nett ist, sich selbst zurücknimmt und ganz auf die Wünsche und Bedürfnisse der anderen einstellt. Ein kleiner Mensch mit einem großen Seismografen für die Gefühle anderer Menschen macht sich auf seinen Weg in die Welt. Wenn er dann in eine unbekannte Situation kommt, wird er das Rezept anwenden, das er gelernt hat: nett sein. Und das wird ganz oft gutgehen. Er wird seine frühe Erkenntnis ein ums andere Mal bestätigt finden: Nett zu sein bringt mich voran. Eine weitere Bestärkung für das Motto »Mach es anderen recht«.
Leider klappt es nicht jedes Mal. Das Erfolgsrezept scheitert immer einmal. Und jetzt? Angst kommt hoch. Und was mache ich, um mit der Angst umzugehen? Reflexhaft? Natürlich das, was sich bisher am besten bewährt hat, um Angst zu reduzieren. Wenn es nicht funktioniert hat, kann das nicht an dem Rezept liegen – das liegt an mir! Ich muss mich mehr anstrengen, ich muss es besser machen.
Statt der Methode stelle ich mich selbst infrage. Ich bin offenbar nicht okay, bin defizitär, ich kann die Bedingungen nicht richtig erfüllen. In der Bilanz meiner Fähigkeiten taucht ein bedrohliches Minus auf. Ich strenge mich so lange an, bis es erneut klappt, oder ich schreibe eine Misserfolgsgeschichte, die die nächste vorbereitet. Meine Sicherheit wird weiter unterminiert. Ich bin in ein Hamsterrad eingestiegen, dem ich so schnell nicht wieder entkomme.
Egal, wie es läuft, immer werden die Anpassungsleistungen bestärkt. Wenn sie mir helfen, erfolgreich zu sein, dann wächst meine Gewissheit, dass sie einfach richtig sind. Gleichzeitig zahlt das jedes Mal auf das Konto der bedingten Selbstliebe ein – dass ich erfolgreich sein kann, wenn … Bin ich einmal nicht erfolgreich, dann verstärkt das meine grundsätzlichen Sorgen, also muss ich meine Bemühungen verdoppeln. Und so fort, ein wasserdichtes System. Seine Stabilität wird durch die Logik der Angst garantiert: Gut ist, was Angst reduziert. Insofern steigt in uns immer, wenn wir etwas tun, was gegen unsere früh gelernten Anpassungsleistungen verstößt, ein Unbehagen auf, der Vorbote der Angst. Und prompt gehen wir schön brav zurück auf Linie. In unserer Kindheit genau die richtige Reaktion: Da war kein Kampf zu gewinnen.
Ich habe neulich einen etwa dreijährigen Jungen beobachtet, der beim Spielen auf der Terrasse unabsichtlich einen Stuhl umgeworfen hatte. Es war nichts kaputt, es war nichts passiert. Der Kleine stand wie angewurzelt da und starrte auf den Stuhl, schüttelte den Kopf und murmelte betrübt und ängstlich »Nicht aufgepasst!!«. Er schien einem inneren Dialog ausgesetzt zu sein, in dem es um Anklage ging, und er bekannte sich schuldig. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie oft der Junge was genau gehört und erlebt haben muss, dass er so früh bei einem unbedeutenden Missgeschick schon so mit dem Finger auf sich selbst zeigen musste.
Wenn wir größer sind, stehen wir meistens nicht mehr so da. Wir haben entweder gelernt, uns so umsichtig zu
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