Das Ende Der Ausreden
bewegen, dass wir nichts mehr umstoßen. Oder aber wir finden sofort einen Grund, warum wir selbst nicht schuld sein können (»Wer hat den Stuhl denn da so blöd hingestellt?«). Oder wir haben uns eine Erklärung zurechtgelegt (»Ich bin leider so ungeschickt!«). Das ist dann zwar bedauerlich, aber jedenfalls müssen wir uns nicht besonders erschrecken oder fürchten, an das »Ich bin eben so« haben wir uns schließlich gewöhnt. Sodass wir später nur selten manifeste Angst erleben.
Das Gute am Mechanismus der bedingten Liebe ist also, dass wir uns seiner für den größeren Teil unseres Lebens gar nicht bewusst sind. Es tut nichts weh, es ist vertraut, nichts beunruhigt, das Leben geht so seinen Gang. Die Ausreden tun ihren Teil dazu, wir kommen prima zurecht. Nur hier und da irritieren uns Wiederholungen, wundern wir uns über eigene Empfindlichkeiten oder Befürchtungen, die sich trotz aller Erfolge nicht abschleifen wollen, oder bemerken, wie wir ziemlich streng mit uns selbst sind.
Wenn wir uns heute als erwachsene Menschen aus dem inneren Hamsterrad verabschieden wollen, dann werden wir immer einmal frühen Gefährten wiederbegegnen: Unsicherheit, Zweifel, Schmerz.
Sollten wir uns das wirklich antun? Unbedingt!
11 Ego und Selbst: Eine folgenschwere Verwechslung
Ein Kind ist keine Münze, kein lebloses Metall, das nach Belieben bedruckt, gestanzt, geformt, also im Wortsinn »geprägt« wird. Von Anbeginn, das wissen wir heute, treten Kinder in Wechselwirkung mit der Welt und gestalten so ihre Entwicklung mit. Gleichwohl sind die Karten zu Beginn nicht ganz gleich verteilt. Ein Ergebnis dieser prägenden Jahre ist die bedingte Selbstliebe: Ich bin nur liebenswert, wenn …
Wir haben die Regeln der bedingten Liebe so verinnerlicht, dass wir sie für unsere eigenen halten. Denn wir konnten nicht sagen: »Weißt du, Mutter, was du hier von mir verlangst, das widerspricht meiner gesamten Natur; wenn du so weitermachst, verlerne ich es, ich selbst zu sein!« Wir können nicht auf die Liebe verzichten. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf.
Ich lerne, mich auf die Erfüllung der Bedingungen zu konzentrieren, statt auf meine Bedürfnisse, lerne, meinen Schmerz zu ignorieren, wenn Vater dann stolz auf mich ist, lerne, besonders niedlich und originell zu sein, wenn es dafür im Tausch Liebe von der Mutter gibt. Nachdem ich wunschgemäß mein durchsetzungsstarkes, originelles oder friedfertiges, pflichtbewusstes oder vernünftiges Repertoire gelernt habe, beginne ich irgendwann, mich damit zu identifizieren. Ich fange an, von mir selbst als Ganzem als stark, nett, schnell, besonders oder fröhlich zu denken. Mein Selbstbild beginnt dem zu entsprechen, was man von mir gewollt hat. Auftakt für das: Ich bin eben so.
Wir können nicht denken: »Ich bin so, weil ich so sein soll«, das ist eine psychische Unmöglichkeit. Das würde uns zerreißen, denn es hieße: »So wie ich eigentlich, wie ich ursprünglich bin, bin ich nicht geliebt.« Das ist undenkbar. Also gehen wir den anderen Weg und erklären uns zu dem, was wir sein sollten. Und speichern eine Reihe elementarer Erkenntnisse über uns und die Welt: unsere Überzeugungen.
Danach – das ist sehr entscheidend – vergessen wir diese Einsichten weitgehend. Und sie beginnen ihr Werk im unbeleuchteten Raum unseres Unbewussten. Unbeobachtet, unreflektiert können nun Ideen unser Leben steuern, die wir uns als Fünfjährige zurechtgelegt haben.
Auf diese Weise verwechseln wir uns. Identifizieren uns mit einer eingeschränkten Version unserer selbst. Wir machen keinen Unterschied zwischen dem, was wir sein könnten, was in uns ursprünglich einmal angelegt war, und dem, was wir geworden sind. Wir identifizieren uns mit der Auffassung über uns, die man uns als Auftrag erteilt hat. Unser innerer Reichtum bleibt uns so – bis auf Weiteres – vorenthalten. Die Sparversion unserer selbst ist uns so vertraut, dass wir sie schließlich für echt halten. Wir bleiben unter unseren Möglichkeiten.
Wir sagen nun »Ich« zu dem, wie wir uns als Kinder notgedrungen erfunden haben. Wir halten daran fest, obwohl wir diese Erfindung mit begrenzten Mitteln bewerkstelligen mussten, auf Basis sehr unzureichender Informationen und unter dem Diktat alternativloser Anpassung. Wir erklären das, was uns damals geholfen hat – unsere Notlösung – zum Standard.
Das ist die fundamentale Täuschung, hier liegt das zentrale Wachstumshindernis.
Wo ein Selbst angelegt war, macht sich
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