Das Ende Der Ausreden
zu vertiefen. Dann könnte ich aufhören, mit meinem Partner zu ringen, und den eigenen Entwicklungsauftrag annehmen. Oder wie Pema Chödrön, eine buddhistische Meditationsmeisterin aus den USA, mit einem Augenzwinkern schreibt: »Schließlich könnten wir uns sogar dazu entschließen, uns nicht immer wieder auf dieselbe Weise wehzutun.«
Erwachsen werden: Der Abschied von der selbst verschuldeten Unmündigkeit
Immanuel Kants Definition des aufgeklärten Menschen steht wohl in jedem Geschichtsbuch der Oberstufe. Er unterscheidet darin die unverschuldete Unmündigkeit, die auf einen Mangel an Verstand zurückgeht, von jener, die auf einen Mangel an Entschlossenheit und Mut zurückgeht. Ein Mensch, der sein Leben selbstbestimmt lenken will, muss nicht nur klar und unabhängig denken können, sondern sich vor allem trauen, es auch zu tun. Das »Sapere aude!«, mit dem die Definition endet, heißt: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.«
Genau davon kann man nicht ausgehen, solange wir im Ego befangen sind und das mit Authentizität verwechseln. Wir bedienen uns nämlich genau nicht unseres Verstandes, wenn wir mit den Selbstverständlichkeiten herumhantieren, sondern wir beten alte Texte herunter, die schon vor Ewigkeiten auf unserer Festplatte abgespeichert und nie erneuert wurden.
Unser Ego hält uns mit allen Tricks die Angst vom Leib, und so merken wir gar nicht, wie wenig Mut wir aufbringen. Als Kinder konnten wir es nicht, aber als Erwachsene können wir entscheiden: Setzen wir die Unmündigkeit fort oder heben wir sie auf. Allerdings brauchen wir dazu sicher nicht den Verstand allein. Da müssen noch mitspielen: unser klopfendes Herz und unser wiederzuentdeckendes Vertrauen in das Leben, das ihm Mut macht.
12 »Stell dich nicht so an!« Wie die Sätze unserer Kindheit immer noch Macht über uns haben
Von unserer frühen Kindheit wissen wir meist nur noch wenige Details. Es gibt ein paar Episoden, Erzählungen, Familienfotos. Oft sind wir nicht sicher, ob es unsere eigenen Bilder oder ob es die Geschichten der anderen über uns sind. Erinnern wir uns noch selbst daran, wie die Tapete in unserem Kinderzimmer war, wie wir das erste Mal Schnee gekostet oder eine Sandburg gebaut haben? Bei den meisten Menschen beginnen die bewussten Erinnerungen mit der Schulzeit. Das, was früher war, bleibt für viele diffus, der Bildschirm schneit.
Andererseits erleben wir oft, wie ein Geruch oder ein Lied Gefühle auslösen kann. Bei dem einen ist es der Duft von Apfelstrudel, beim Nächsten der Geruch eines bestimmten Klebstoffs, der an Marzipan erinnert, und beim Dritten sind es die Irisblüten, die damals auf Höhe der Kindernase blühten und deren Duft ein Leben lang vertraut bleibt. Wenn ein Kinderlied ertönt oder die Titelmelodie der Eurovision oder von »Bonanza« oder »Lassie«, dann haben wir für einen Moment Verbindung zu unseren Kindertagen, von denen wir meinten, nichts mehr zu wissen. Es tauchen Empfindungen auf, schöne, traurige oder unbestimmte.
Mal abgesehen von den vielen interessanten Aspekten dieses geheimnisvollen Vorgangs, wie auf verschlungenen biochemischen Pfaden an die Pforten des sonst gut verschlossenen Kindergedächtnisses geklopft werden kann, so macht es doch mindestens eines offenkundig: Die Erinnerungen sind nicht weg, sie sind da. Und mag es zunächst nur etwas Vages sein, ein undeutlicher Widerhall – wenn man geduldig lauscht, meldet sich oft mehr.
Ähnlich verhält es sich auch mit den Sätzen, die wir als Kinder ein- bis hundertmal pro Tag gehört haben. Ermahnungen, Vorschriften, Verbote, Weisheiten. Danach gefragt, was das für Sätze waren, fällt es vielen Menschen zunächst schwer, sich an diese zu erinnern. Nimmt man sich aber die Zeit, tauchen sie meist nach und nach wieder auf.
Manche sind sehr – oft heute noch – präsent, sie sind Teil einer bewusst gepflegten Familienkultur, jedes Mitglied kann sie ohne Zögern aufsagen. Manche Clans haben ganze Bände davon, für jede Lebenslage gibt es was im Angebot. »Der frühe Vogel fängt den Wurm«, »If you first don’t succeed, try try try again«, »Jeder nach seiner Fasson«, »Gesunder Geist in gesundem Körper«, »Da, wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen kennen keine Lieder«. Wenn Bildung einen hohen Stellenwert im Selbstverständnis einnimmt, gibt es sie vielleicht sogar in Französisch oder Latein. Diese Sätze gehören zur familiären Selbstdarstellung: Wir sind Bildungsbürger,
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