Das Ende Der Ausreden
dadurch umgekehrt möglich wird, die Kindheitssätze als einen Schlüssel für das Verständnis der eigenen Biografie zu verwenden. Wohlgemerkt: Der Satz an sich hilft uns wenig weiter. Nur was er dem Einzelnen bedeutet , wie er ihn in sein Weltverständnis und Ego-System eingebaut hat, das ist entscheidend.
»Na, komm, Kopf hoch! Du hast es doch gut!!« erinnert sich eine Frau oft gehört zu haben, wenn sie Kummer hatte. »Wer abends feiern kann, muss morgens auch aufstehen!« und immer wieder Variationen von »Stell dich nicht so an!«.
Das gemeinsame Moment dieser Sätze bezieht sich auf den Umgang mit Gefühlen: Man soll sie relativieren, sie sind nicht so wichtig, dürfen nicht im Weg sein. Daraus wurde später eine grundlegende Überzeugung, die heißt »Gefühle sind unpraktisch!«. Ihre Mutter hatte das bereits von ihrer Mutter gelernt, »Weinen kommt nicht infrage!« war ihr immer eingeschärft worden.
Eine zweite Frau hatte besonders oft gehört: »Nimm dir ein Beispiel an …!«, »Das tut man nicht als Mädchen!« und »Der oder die ist kein Umgang!« und »Reagier nicht so impulsiv!« Hier heben hohe Ansprüche den Finger. Das Mädchen kann sie kaum erfüllen. Als Frau hat sie eine große Prinzipientreue und Strenge im Umgang mit sich selbst entwickelt. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gegen das Gefühl zu kämpfen, sich anstrengen und es immer noch besser machen zu müssen.
Einen Mann begleiteten in seiner Kindheit Sprüche wie »Das Leben ist Kampf«, »Wer Angst zeigt, hat schon verloren!« und »Es wird dir nie etwas geschenkt!«. Im Skript dieses Mannes ist an prominenter Stelle eine Ablehnung jeglicher Schwäche vermerkt. Die erste Hälfte seines Lebens beschrieb er, der erfolgreich einem bürgerlichen Beruf nachging, selbst als eine Art Straßenkampf. Niemals das Visier öffnen.
Eine erfolgreiche Unternehmerin mit einer ähnlichen Persönlichkeitsstruktur erinnert sich an »Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied«, »Alles was du wirklich willst, kannst du auch erreichen«. Das sind Aussagen, die ihr Lebensgefühl auf den Punkt bringen. Sie zweifelt nicht an sich und ihren Möglichkeiten, ihr Anspruch an die Welt ist nichts weniger, als dass sie ihr zu Füßen liegen soll. Dafür ist sie bereit, viel Kraft und Enthusiasmus einzusetzen. Sie denkt groß, nicht klein.
Hinter dem inneren Imperativ, immer stark, mutig und ohne Zweifel sein zu müssen, steckt meist ein Erleben von Bedrohung. In ihrem Fall war sie in den Nachkriegsjahren das erste Kind nach einer elenden Kette von Vertreibung, Tod und Verlust. Und sie die Zukunft. Ihr Großvater trug sie nach ihrer Geburt stundenlang auf seinen Armen umher und zeigte allen überglücklich: Jetzt – endlich! – geht das Leben weiter. Sie musste überleben, sie durfte keinen enttäuschen, sie trug die Verantwortung für die Hoffnung vieler. Und durfte darunter unter keinen Umständen zusammenbrechen.
Noch heute kann sie fast nur ausruhen, wenn sie krank wird. Sonst ist sie immer stark, schmiedet das Glück jeden Tag.
»Arm gebrochen ist schlimmer!« ist der Satz der Sätze, mit denen die Mutter eines Mannes auf alle Sorgen und Situationen reagierte. Die Lektion hieß: Die meisten Probleme sind nicht schlimm, nimm sie nicht so wichtig. Ich habe selten jemanden getroffen, der sich als Erwachsener so hartnäckig weigerte, Probleme anzuerkennen. Ein Meister im Relativieren und Tieferhängen.
Unter den Sätzen der Kindheit gibt es durchaus auch Schönes: »Du bist dem Papa sein Sonnenschein!«, »Wir sind stolz auf dich!«. Sätze, die helfen, durchs Leben zu steuern: »Du kannst immer deinem Herzen vertrauen!« oder »Du brauchst dich von niemandem einschüchtern zu lassen!« Sätze, die später Trost und innere Sicherheit geben.
Aber es gibt auch Erinnerungen an Sätze, da möchte man sich die Ohren zuhalten. »Wenn du nicht brav bist, kommst du ins Heim!« hörte ein kleines Mädchen, das bei seinen Großeltern aufwuchs, immer wieder, und die Drohung war ernst. Sie konnte kaum sprechen, als sie dreißig Jahre später davon erzählte. Was das für ein Kind bedeutet, welche Vernichtungsfurcht aufsteigen muss, kann man nur ahnen. Keine Chance zu lernen, dass die Welt ein sicherer Ort ist. Die Bedrohung ist immer da. Wie diese Frau das Drama eines ungewollten, vor allem dem gewalttätigen Großvater lästigen Kindes Stück für Stück bewältigen konnte, ist ein Mut machendes Glanzstück in Überlebenswille und -kraft. Ihr ist es gelungen, sich von
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