Das Ende Der Ausreden
erzählen?
Es kommt ausgesprochen selten vor, dass jemand nach dieser Abwägung eine Geschichte zum Besten gibt, die ohne jede Kanten, Zweifel oder dunkle Stunden auskommt, die sich selbst feiert: Ich war toll, ich bin toll und ich werde toll sein.
In einem Klima von Aufrichtigkeit wirkt eine solche Präsentation plötzlich so deplatziert und falsch wie ein Witz zur Unzeit, die Peinlichkeit klirrt. Niemand weiß recht, wie damit umgehen. Jeder spürt den falschen Klang. The great pretender hat noch das Sagen. Aus Furcht, sich verletzbar zu machen, verschenkt er ungezählte Möglichkeiten, hat überdimensioniert aufgerüstet und sich hinter mit Stacheldraht garnierter Lässigkeit zurückgezogen.
Für diejenigen aber, die sich zu Offenheit durchringen, die die Maske lüften, ist es immer wieder beeindruckend zu erleben, wie die Magie funktioniert: Geschenktes Vertrauen wird immer gewürdigt. Ich erzähle von mir, erzähle von Erfolgen und Niederlagen, erzähle vom Scheitern und vom Gewinnen, von Sackgassen und von Durchbrüchen. Und spüre: Man hört mir zu, man interessiert sich für mich, und vor allem: Man beurteilt mich nicht.
Das bedeutet viel. Das ist doch das, was wir alle bezweifeln: dass wir, einfach so, liebenswert, der Liebe wert sein könnten.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie eine sehr hübsche, junge Frau ihre Geschichte erzählte: Anfang dreißig, stets mit einer dicken Make-up-Schicht gewappnet und mit einer Frisur, in der aber auch kein Haar sich gegen die blonde, gescheitelte Ordnung aufzulehnen traute. Sie war umgeben von einem immateriellen Schutzschild, der einen Durchmesser von ungefähr zwei Kilometern hatte. Keine Chance, sie dahinter zu erreichen. Immer positiv, immer unverbindlich, ein Charme aus Granit.
Und sie begann mit einem Stolpern in der Stimme, einem alten Kummer, der sich jetzt nicht verbergen ließ, es war ihr zutiefst unangenehm. Doch sie ließ es zu. Sie erzählte, wie sie als Kind aufgrund eines Sprachfehlers verspottet und gequält wurde. Wie man sie für blöd gehalten hatte, bis sie es selbst fast geglaubt hatte. Sie, die Immaculata, die immer Coole, kämpfte mit den Tränen. Alle Herzen, alle(!), flogen ihr zu. Wie lange hatte dieses kleine Mädchen auf die Zuneigung gewartet, die ihr jetzt kiloweise entgegenkam?
Die Intensität und Wirkung der Übung sieht man den Teilnehmern an. In den Gesichtern, die entspannt, und den Augen, die oft wie frisch gewaschen wirken, an den Bewegungen, die natürlicher sind. Man hört es am veränderten Gespräch und erkennt es daran, wie sie miteinander umgehen, wenn sie sich wieder treffen. Da ist eine Wahlverwandtschaft entstanden. Und ich freue mich immer wieder aufs Neue, dass ich dabei sein kann. Es wird viel gespürt in dieser Übung, es fließen Tränen, es wird befreit gelacht, es wird Zorn empfunden und ausgedrückt. So wie das Leben eben ist. Bunt, grau, sonnig, neblig, fabelhaft und ungerecht, schmerzhaft und festlich, beglückend und bestürzend. Wir schwimmen, saufen ab, kommen wieder hoch, taumeln, tanzen und stürzen.
Kein Leben geht nur geradeaus. Und wir können nur mit unserem eigenen Leben weiterkommen. Nicht mit der Idee eines Ideals.
Es sind viele Menschen, die sich an schwierige Kindertage erinnern und sich noch als Erwachsene dessen im Inneren schämen. Sie würden gerne von einer Kindheit voller Sorglosigkeit berichten, Probleme kämen nur in Form aufgeschrammter Knie vor, es gäbe immerzu duftenden Kakao beim einträchtigen Kuchenessen in der intakten Großfamilie – genau wie in den Musterfamilien aus der Fernsehwerbung. Es war aber anders. Sie schämen sich für materielle Not, den zermürbenden Streit der Eltern, ihre Verlassenheit in einem Haushalt, in dem sich alles um das Geschäft drehte, die Sucht des Vaters, die überforderte Mutter, die mit Selbstmord droht, für die Lieblosigkeit und Kälte, die sie erlebt haben, die Tatsache, dass sie aus einem Seitensprung stammen und man sie das hat immer spüren lassen, für Übergriffe oder das Drama eines tödlichen Unfalls, der alles verdüsterte. Diese Scham ist nicht immer präsent, aber sie kommt hoch, wenn man vor der Aufgabe steht, sein Leben zu erzählen. Schlimm genug, dass die Kinderzeit kein Zuckerschlecken war, jetzt ist es einem auch noch schmerzlich peinlich. Ein absurder Zusatzkummer.
Das Schöne ist: Hier ist eine Chance, der Scham den Schneid abzukaufen! Wenn man merkt, dass man mit der Erinnerung an kindliche Nöte, Furcht, hilflose
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