Das Ende Der Ausreden
Wut und Einsamkeit keinesfalls allein ist – dann spürt man eine immense Erleichterung.
Glücklicherweise ist ja vielen Menschen zwischenzeitlich die Erlösung gelungen, konnten sie ihre Fesseln sprengen. Sie tun es immer mit der Hilfe anderer, die ihnen beistehen, ihre Geschichte aufzudecken und zu verstehen. Immer wieder schaffen sie es, durch den Zorn, die Versteinerung, den Hass vorzudringen und den durch Schuldgefühle überlagerten frühen Schmerz wiederzufinden. Und dann zu erkennen: dass er Vergangenheit ist. Das Kind hätte ihn nicht überleben können, hatte sich vor ihm verschließen müssen. Der Erwachsene kann ihn ertragen und überwinden. Um sich dann dem Leben, der Gegenwart und der Liebe, von der er sich zugleich mit dem Schmerz entfernt hat, endlich wirklich öffnen zu können – ohne die Klinge vermeintlicher Schuld im Herzen immer aufs Neue umdrehen zu müssen. Dabei hilft es, zu erzählen, was war, die eigene Geschichte zu teilen. Und so dem frühen Kummer seinen Schrecken zu nehmen.
Es geht darum, das zu tun, was ein schwedisches Sprichwort weiß: Nenne den Troll beim Namen, und er wird platzen!
14 Das Enneagramm: Liebeserklärung an ein Persönlichkeitsmodell, das Ihr Leben verändern könnte
So einmalig und individuell unsere Kindertage waren und unser Leben auch verlaufen ist – Ihnen ist sicher über die Jahre aufgefallen, dass sich Menschen zwar enorm voneinander unterscheiden, andererseits aber verblüffende Ähnlichkeiten aufweisen. Das liegt daran, dass wir alle die gleichen Grundbedürfnisse und Antriebskräfte mitbringen und unsere Prägung in Bezug auf diese stattfindet. Dadurch ist die Variationsbreite groß – aber endlich. Unsere Idee des »Ich bin eben so!« ist weder zufällig noch einmalig: Wir haben viel gemeinsam mit Menschen, die vergleichbare frühe Erfahrungen gemacht haben – nicht zuletzt unsere Ausreden.
Ich möchte Ihnen ein Persönlichkeitsmodell anbieten, das die enorme Vielfalt möglicher Ego-Systeme nach roten Fäden durchleuchtet und sie in neun Grundtypen sortiert hat: das Enneagramm (griechisch »ennea«: neun, »gramma«: Zeichen). Es beschreibt neun Muster typischer Verhaltensweisen und die dazugehörige Art, die Welt zu betrachten und zu deuten. Die jeweiligen Aufmerksamkeitsstile zeigen, worauf man sich besonders konzentriert und was man wegblendet. Jeder Typus hat seine eigene Sammlung charakteristischer Überzeugungen, Selbstverständlichkeiten und Werte und seine spezifische Art, in Rechthaben-Spiele zu gehen, Beziehungsmuster anzubieten, Ausreden zu verwenden, sich zu inszenieren und erfolgreich zu sein.
Dieses Modell gibt es vermutlich seit zweitausend Jahren und es hat nichts, aber auch gar nichts an Aktualität eingebüßt. Über seine Herkunft gibt es verschiedene Hypothesen, nach neuesten Erkenntnissen wird es frühchristlicher Tradition zugeschrieben. Erst im 20. Jahrhundert fand es seinen Weg aus der mündlichen Überlieferung in die Schriftform, seither wird es in Europa und den USA gelehrt, praktiziert und erforscht. Weder im Studium noch danach habe ich ein so spannendes und vor allem praktisches Modell der Persönlichkeit kennengelernt. Diese Typenlehre ist für das Leben gemacht. Für Menschen, die an sich selbst und an anderen Menschen interessiert sind und sich entwickeln wollen. Es ist ein sehr komplexes Modell mit großem Tiefgang. Und zugleich gibt es uns ganz handfeste und umsetzbare Empfehlungen für persönliches Wachstum.
Unser Persönlichkeitsmuster konstruiert unsere Wirklichkeit
Im Zusammenhang mit unseren Selbstverständlichkeiten, die uns daran hindern, neue Erfahrungen zu machen (»Das geht ja wohl gar nicht!«), haben wir die subjektive Konstruktion von Wirklichkeit gestreift. Das Enneagramm zeigt, dass unsere Unterschiedlichkeit im Erleben nicht zufällig ist, sondern sich systematisch beschreiben lässt. Das jeweilige Persönlichkeitsmuster gibt vor, wie wir wahrnehmen, interpretieren und handeln.
Fast alle Menschen, mit denen ich bisher mit dem Enneagramm gearbeitet habe, sind davon fasziniert, wie unterschiedlich die vermeintlich gleiche Situation von verschiedenen Menschen aufgefasst werden kann. Das ahnen wir zwar vage, aber es ganz bewusst zu erleben, ist immer wieder spannend. Dazu werden in Enneagramm-Workshops oft kleine Geschichten vorgelesen; die Teilnehmer schreiben auf, wie sie sich in diesen Situationen verhalten, was sie denken und was sie empfinden würden.
Maria-Anne Gallen und Hans Neidhardt,
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