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Das Ende Der Ausreden

Titel: Das Ende Der Ausreden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Roser
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Zählen Sie einmal spaßeshalber die Minuten, die in einem Gespräch von einer Stunde – drei Menschen reden miteinander – zugehört werden. Mit Zuhören meine ich: wirklich auf das hören, was der andere sagt, und im Anschluss darauf Bezug nehmen, etwas nachfragen, vertiefen, eine Meinung dazu äußern. Das Gesagte aufnehmen und weiterentwickeln, gemeinsam mit dem anderen ein Gespräch flechten.
    Im Normalfall sieht so ein Gespräch eher so aus:
     
    A »Ich komme gerade aus New York zurück, wir haben da eine Woche Urlaub gemacht. Tolle Stadt! Einmal haben wir …«
    B unterbricht: »Wo habt Ihr gewohnt?«
    A »Im Algonquin, da wurde in den Zwanzigerjahren der ›New Yorker‹ gegründet, da …«
    B unterbricht: »Ach ja, da haben wir auch mal gewohnt. Das letzte Mal waren wir aber im hmhmhm, das liegt noch besser, da bist du direkt an der 5th, da wo …«
    C mischt sich ein: »Dieser Nike-Shop, der ist doch schlicht irre, oder?«
    B »Na ja, aber das bekommst du ja mittlerweile hier genauso günstig.«
    C »Aber es ist doch was anderes, es da zu kaufen.«
    A »Da waren wir gar nicht …«
     
    Fragen sind in Alltagsgesprächen oft keine Fragen, sie dienen nur als Stichwortgeber für eigene Erlebnisse. Wenn überhaupt welche gestellt werden. Oft haben die Gesprächsfäden keine echte Verbindung, es wird simultan, aber nicht miteinander gesprochen. Da wird nichts geflochten.

Die Kraft, die aus der geteilten Geschichte erwächst
    Die Vorstellung, in einer Gruppe, überhaupt vor anderen, über sein Leben zu sprechen, die eigene Geschichte zu erzählen, bereitet den meisten Menschen Herzklopfen: Bin ich der einzige Mensch hier im Raum, der eine etwas schwierige (komische/ zerstrittene/verrückte/komplizierte) Familie hat? Bleibt das hier vertraulich? Kann ich mich auf die anderen verlassen?
    All diese Gedanken kommen hoch und sie sind berechtigt und wichtig. Führen sie doch genau in den Kern der Frage – wer ich bin, was ich vorgebe zu sein und wer ich werden und sein könnte.
    Ich kann Ihnen nur ans Herz legen, dieses Experiment einmal zu wagen. Vielleicht besuchen Sie ein Seminar, Sie können es aber auch mit einer engen Freundin oder einem guten Freund tun oder in einer kleinen Gruppe von Menschen, denen Sie sich verbunden fühlen. Erzählen Sie sich gegenseitig einmal in Ruhe und unverstellt Ihr bisheriges Leben. Sie werden sich selbst und den anderen auf eine neue und tiefere Art begegnen.
    Man muss dazusagen, dass meine Arbeit keine therapeutische ist, sondern, dass ich mit Führungskräften in Unternehmen arbeite. Mit erfolgreichen, ganz normal neurotischen Menschen wie Sie und ich. Und es ist keinesfalls an der Tagesordnung, dass man in dieser Konstellation über die eigene Kindheit spricht.
    Wenn nun doch die oder der Erste beginnt, entsteht eine Atmosphäre, die sich nur schwer beschreiben und charakterisieren lässt. Meist macht den Anfang einer aus der Gruppe, der selbstbewusst und stark wirkt. Und fast jedes Mal erleben die anderen eine Überraschung.
    Als ich die Übung vor Jahren das erste Mal angeleitet und erlebt habe, hatte ich dafür insgesamt zwei Stunden in den beiden Seminartagen eingeplant. Ich hatte damit gerechnet, dass die Teilnehmer nur ganz kurz eine Art Zusammenfassung referieren würden. Begrenztes Risiko, nur Überschriften, keine Handlung. Es wurden zwei Tage.
    Es begann eine Frau, die für ihre Durchsetzungskraft und ihren Humor bekannt ist, und sie erzählte über eine Stunde lang ohne Pause. Keine Minute war langweilig. Niemand ging raus, keiner unterbrach die Erzählung. Am Ende traute sich zunächst niemand, etwas zu sagen. Einer sagte schließlich: »Das hätte ich ja nie gedacht!« Über diesen Satz haben wir später sehr lachen können, er kam nämlich auch bei den nächsten zwei Lebensgeschichten. Und dann wussten alle: So ist es offenbar jedes Mal!

»Ich hatte eine schöne Kindheit«: Meist ein Mythos
    Wir haben keinen Plan davon, wie das Leben anderer Menschen bislang war. Bis sie es uns erzählen. Und dann hat es fast immer mehr und oft andere Nuancen, als man je vermutet hätte. Oft beginnt die Erzählung mit den Worten »Ich hatte eine schöne Kindheit«. Viele haben nicht sehr viele klare Erinnerungen, aber sie möchten gerne, dass die Rückschau auf diese Zeit positiv ist. Es ist erstaunlich (und auch wieder nicht), wie viel Hemmung vorhanden ist, die Kindheit unter einer anderen Überschrift zu schildern. Es klingt ja auch wohltuend, dieses »schöne Kindheit«.

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