Das Ende Der Ausreden
Jans Onkel, hat.
Der Vater wiederum hat aus seiner Kindheit ein gerüttelt Maß an Selbstrelativierung mitgenommen, er stellt seine Bedürfnisse oft hinter denen seiner Familie zurück, er würde nie auf die Idee kommen, seine eigenen Sorgen zu ernst zu nehmen und andere damit zu belasten.
Die Großmutter, der Onkel, die Mutter, der Vater – alle leben auf ihre Weise Jan das vor, was ihm jetzt das Leben noch schwerer macht. Neben den realen Schulproblemen ist es der Zwang zum Optimismus, der ihn überfordert.
Die prägenden Sätze unserer Kindertage sind Bedingungen, die man uns formuliert hat und auf die wir oft jahrzehntelang mit mechanischer Anpassung reagieren. Heute gibt es niemanden mehr, der uns zwingen kann, alte, längst überholte Sprüche weiterzudeklamieren. Es gibt keine Veranlassung mehr, uns innerlich vor Sätzen zu verkrampfen, die uns demütigen wie etwa »Wie kann man nur so dumm sein?!!« oder »Aus dir wird nie etwas!«. Wir können uns weigern, Sätzen Glauben zu schenken, die uns unsere Lebensfreude abspenstig machen wie »Das Mädchen, das morgens singt, fängt abends die Katz«. (Ja, nicht der Vogel, das Mädchen wird hier bedroht!) Ob wir nun tun, was man uns geheißen hat, oder ob wir in einer rebellischen Nein-Haltung in der Opposition gelandet sind – beides ist Fremdsteuerung.
Freiheit bedeutet: selbst zu entscheiden, an welche Regeln ich mich binden will.
13 Das eigene Leben erzählen: Ein Wagnis, das sich immer lohnt
Je besser wir verstehen, was uns geprägt hat (und zugleich, dass wir dabei nicht stehen bleiben müssen), desto eher können wir in Möglichkeiten denken. Sobald wir wirklich begreifen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was wir im Alltag als Ich zu bezeichnen gewohnt sind, und unserem tatsächlichen inneren Reichtum, dann können wir wachsen, uns entfalten, entwickeln und emanzipieren. Und gleichzeitig ändert sich auch unsere Sichtweise auf die Andersartigkeit der anderen. Unser Blick wird weiter und weicher.
Seit einigen Jahren arbeite ich in Seminaren zur Persönlichkeitsentwicklung mit einer Übung zur eigenen Biografie. Ich bitte die Teilnehmer, sich einige Stunden Zeit zu nehmen und über ihr Leben nachzudenken. Vielleicht mögen Sie es für sich einmal ausprobieren? Die Instruktion lautet:
• »Nehmen Sie sich ein Blatt Papier, einen Bogen Flipchart, ganz wie Sie mögen. Und tragen Sie zunächst Ihr Leben auf einer Zeitachse ab. Die Zeit, die Sie bislang gelebt haben und die, von der Sie vermuten, dass Sie sie noch leben werden.«
Interessanterweise haben die meisten Menschen eine ziemlich präzise Vorstellung darüber, wie alt sie wohl werden. So entsteht auf dem Papier eine Linie des Lebens, das hinter uns, und dessen, was noch vor uns liegt. Für viele bringt dieses Abbilden und Betrachten der eigenen Lebenssituation innerlich einiges in Bewegung.
• »Schauen Sie, in welche Phasen Sie Ihr Leben einteilen können. Und finden Sie eine Metapher für jede Phase.«
Diese Überschriften können aus allen Bereichen des Lebens stammen, sie können Buch- oder Filmtitel oder selbst erfunden sein.
• »Suchen Sie in Ihrem Leben nach den Weggabelungen. Immer wieder einmal im Leben stehen wichtige Entscheidungen an – und wie haben Sie entschieden?«
• »Markieren Sie Traumata und Triumphe und notieren Sie, wer die wichtigsten Wegbegleiter Ihres Lebens waren: Wer hat Ihnen geholfen, wer hat Sie geliebt, beschützt, herausgefordert, wer hat Sie verletzt, gehemmt und verraten?«
Spätestens jetzt ist es still im Seminar. Jeder geht in sein eigenes Leben, seine eigenen Erinnerungen, und viele begegnen zum ersten Mal seit Langem sich selbst.
• »Bitte finden Sie am Ende eine Überschrift.Wenn Ihr Leben – bis jetzt – ein Buch, ein Roman wäre, wie lautet der Titel?«
Als ich diese Übung die ersten Male moderiert habe, war ich verblüfft über ihre Kraft. Die Teilnehmer hören der Instruktion zu, es ist deutlich zu sehen, wie es in allen arbeitet, es ist völlig klar, das ist keine belanglose Sache, das ist kein Spiel. Wann denken wir schon über das eigene Leben einmal so konzentriert und am Stück nach – und sprechen darüber? Im beruflichen Kontext erzählen wir eher Erfolgsstorys, wie toll wir durchs Leben gekommen sind, wir berichten Schwänke aus der Jugend oder unterhaltsame Nichtigkeiten.
Das wirkliche Gespräch, der Dialog, ist die Ausnahme, nicht die Regel. Das beginnt schon damit, wie viel Raum das Zuhören im Alltag hat.
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