Das Ende Der Ausreden
Wie viel der Einsamkeit ist selbst gemacht? Und wie viel mehr Gemeinsamkeit – mit wem und wie auch immer – könnte es geben?
Ich bin sicher, dass ein nicht kleiner Teil der Einsamkeit nichts mit dem Alter und dem Familienstand zu tun hat. Sondern mit der Einladung, die ich als älterer Mensch an andere ausspreche, und meiner Bereitschaft, aktiv und mitten im Leben zu bleiben. Und das kommt nicht von selbst.
Alt werde ich ohne mein Zutun. Jung im Kopf und im Herzen bleibe ich nur, wenn ich etwas dafür tue. Und das beginnt, wenn es beginnt, in der Mitte des Lebens. Indem ich schon jetzt Selbstverständlichkeiten und bewährte Rezepte infrage stelle, bekannte Pfade verlasse und mir zumute, wieder Anfänger zu sein in möglichst vielen Fragen.
Aber tun wir ruhig noch einmal kurz so, als ob uns das nicht einleuchtet und wir daher unbeirrt am Gewohnten festhalten wollen. Wohin uns dieser Weg führen könnte, lässt sich am ehesten vorhersagen, wenn wir schauen, ob es vielleicht schon heute irgendwelche Anhaltspunkte gibt, wohin die Reise gehen könnte, wenn wir den Kurs unverdrossen beibehalten.
Wir sind schon heute viel weniger flexibel, als wir es uns einbilden
Wir halten uns für flexibel (»Es kommt doch immer auf die Situation und das Gegenüber an!«), sind in Wirklichkeit aber erstaunlich berechenbar. Die Menschen, die uns gut kennen, haben keine Mühe, unsere typischen Verhaltensweisen zu beschreiben; sie identifizieren unsere eingefahrenen Tendenzen viel leichter als wir selbst. Unsere Weisheiten kennen sie auswendig, die Erkenntnisse, die wir immer wieder neu gewinnen (»Wenn man nicht alles selber macht …!«), murmeln sie längst halblaut mit.
Meist teilen unsere Partner unsere blinden Flecken nicht. Während wir bestimmten Ideen nachhängen, wie wir meinen sein zu müssen (und denken, dem schon recht nahe zu kommen), beobachten sie einfach, was wir tun. Wir geben uns cool, und unsere Partner wissen, wie empfindlich und mimosig wir unterwegs sind. Wir meinen, dass wir immer gut drauf sind, aber unsere Partner kennen unsere Stimmungsschwankungen, die wir versuchen, sogar vor uns selbst geheim zu halten. Wir meinen, gerecht zu sein, und unsere Umwelt hat die Ungereimtheiten längst durchschaut. Wir kultivieren unsere Bescheidenheit, und die anderen haben den vermeintlich gut kaschierten Hochmut doch gewittert. In Stresssituationen kann man vorhersagen, wie wir reagieren. Wenn wir gerne schnell sind, werden wir noch schneller, wenn wir gerne ins Detail gehen, gehen wir noch mehr ins Detail. Das bewährte »Mehr desselben« ist am Zug.
Aber wenn auch das nicht funktioniert – das ist echter Stress, und dann machen wir plötzlich Sachen, die scheinbar nicht zu uns passen. Die friedfertigen, netten, auf das Wohl der anderen achtenden Menschen hauen plötzlich so auf den Putz, dass der bröckelt; die kumpelhaften Zeitgenossen: plötzlich rigide und penibel, ihre Großzügigkeit wie weggewischt. Uns selbst sind wir dann fremd, aber den anderen kommt das bekannt vor, das haben sie schon öfter mit uns erlebt.
Wir aber geben uns der Illusion hin, dass wir in kein Schema passen. Ein Enneagramm-Autor hat einmal so schön formuliert: »Das Enneagramm steckt uns in keine Schublade. Es beschreibt nur die, in der wir schon sitzen.«
Wir übersehen den roten Faden in unseren Konflikten
Wir geraten immer wieder zu ähnlichen Themen in Streit. Oft auch mit den gleichen Leuten oder ähnlichen Typen. Und: Die Konflikte enden mit einem ähnlichen Ergebnis.
Unsere Partner können aus dem Stand sagen, was sie besonders an uns nervt. Was sagen sie auf dem Höhepunkt eines Streites zu uns? Was steht auf der Hitliste der Vorwürfe auf Platz ein bis drei? Und bekommen wir diese kritischen Anmerkungen auch noch von anderen?
Auch unsere beruflichen Partner – Kollegen und Vorgesetzte – könnten ohne längeres Nachdenken sagen, wo ihr bisheriges Feedback nicht gefruchtet hat und sie »es«, das heißt die Hoffnung auf unsere Lernfähigkeit, aufgegeben haben.
Ich habe ungezählte Male in Feedback-Gesprächen erlebt, dass Menschen schon lange von ihren weniger berauschenden Seiten wissen. Aber sie kokettieren so damit, als hätte es keine Konsequenzen und nicht wirklich etwas mit ihnen zu tun. »Ja, ja, ich weiß, ich habe zu hohe Ansprüche …!« oder »Stimmt, ich sollte mich besser im Griff haben!« oder »Ja, das sagt meine Frau auch immer!« Eine Erkenntnis bringt aber nur weiter, wenn man etwas aus ihr macht.
Wir
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