Das Ende Der Ausreden
Rolle? Es ist kein Zufall, dass so viele Berufstätige kurz nach der Pensionierung sterben und der Friedhof voller gestern noch Unentbehrlicher ist.
Dennoch: Müssen wir wirklich das Scheitern unserer eigenen Erfolgsstory für wahrscheinlich halten?
Einsamkeit im Alter ist auch: selbst gemacht
Werfen wir einmal einen Blick ein paar Jahrzehnte nach vorn.
Wie viele alte Menschen kennen Sie, die Sie gerne treffen? Freiwillig, ohne familiäre Verpflichtung oder karitatives Ehrenamt, einfach, weil Sie sie gerne treffen, weil es Spaß macht, mit ihnen zusammen zu sein, weil es spannend und bereichernd ist, mit ihnen zu reden, ihnen zuzuhören und von ihnen zu lernen? Einen, zwei, drei? Niemanden? Erschreckend oft fallen uns nur ältere Menschen ein, die wir zwar besuchen, aber bei denen wir erleichtert sind, wenn die Zeit um ist, nach der wir mit Anstand wieder gehen können.
Wenn wir das nun gedanklich drehen und als Prognose für das eigene Alter nehmen – gefällt Ihnen das? Mir nicht. Ich möchte kein Punkt auf einem Pflichtprogramm sein, so wie Einkommensteuer abgeben, Vorsorgeuntersuchung absolvieren und Gartenmöbel neu streichen: notwendig, aber lästig. Mir gefällt vielmehr die Idee, auch noch mit achtzig ein offenes Haus und Gäste zu haben, die ein- und ausgehen und länger bleiben, als sie geplant haben. Weil es so nett ist. Dass sich da jung und alt mischen und die Themen nicht von Krankheit und Altersstarrsinn dominiert sind, sondern man weiter am Leben teilnimmt, sich über das arrogante Feuilleton aufregt und die neuesten Automodelle, die Steuerpolitik und das Abendkleid der Oscargewinnerin kommentiert.
Und ich weiß, das wird nur klappen, wenn ich jung bleibe. Und damit meine ich nicht das Modell des faltenfreien Peter Pan. Ich meine young at heart und beweglich in den Gedanken. Eine elitäre Fantasie? Streben die meisten Menschen nicht im Alter vor allem an, gesund zu bleiben, die Zeit ohne Arbeit, die Enkel und vielleicht den Garten zu genießen?
Was kann denn schon konkret passieren, wenn wir einfach so weitermachen? Kann es uns nicht egal sein, wenn wir im Alter eine Zumutung für die anderen sind? Uns haben sich schließlich auch allerhand Leute zugemutet … der entsetzlich fleißige, bei Vater so beliebte große Bruder, dem wir immer nacheifern sollten, der Lateinlehrer mit dem Mundgeruch bis an die Nordsee, diverse Chefs mit ihren haarsträubenden Ticks, dieser chronisch übel gelaunte Pförtner, der immer einen ewigen Moment zu lange braucht, um die Schranke gnädig hochzulassen, die Kollegin mit der schrillen Stimme, der man das Telefonieren verbieten müsste, der neurotische Nachbar, der wegen jeder Erdbeere, die durch seinen Zaun lugt, einen Anwalt einschaltet – weiß Gott, wir sind vielen Zumutungen begegnet. Wenn uns Leute später sonderbar finden: na und?! Steht uns das nicht zu, ist das nicht Teil der Freiheit im Alter, schrullig und unbequem und nervig zu sein? Haben wir uns das nicht verdient, sollten die anderen das nicht mal hinnehmen und unsere Lebensleistung ehren?
Außerdem: Was heißt schon einsam? Ob wir nun heute aufwendig in eigene Entwicklung investieren oder weitermachen wie gehabt – ob das einen Unterschied machen wird, weiß doch keiner. So oder so, unsere Freunde werden uns trotzdem wegsterben, und mit keinem können wir mehr gemeinsame Erinnerungen tauschen. Und die Kinder haben zu tun, egal, ob wir nun erleuchtet oder negativ eskaliert sind. Vielleicht erleben wir das alles ja überhaupt nicht, weil wir früher sterben als gedacht?
Stimmt. Das ist möglich.
Es gibt allerdings Statistiken, die uns nachdenklich machen könnten: Die Selbsttötungsrate im Alter steigt enorm. Schon immer haben sich mehr alte als junge Menschen umgebracht, aber mittlerweile hat sich Selbstmord als Todesursache vor die Verkehrstoten geschoben, und: Die Zahl der Suizide von Alten nimmt überproportional zu. Heute ist jeder zweite Mensch, der sich das Leben nimmt, eine Frau über sechzig.
Was bedeutet das? In vielen Fällen scheint Einsamkeit ein relevanter Auslöser zu sein. Einsamkeit ist ein sehr subjektives Phänomen. Es gibt die Partner, die nach dreißig, vierzig, fünfzig Jahren Ehe zurückbleiben und sich – ohne den anderen – einfach immer allein fühlen, egal, wie oft die Kinder die Lücke auszugleichen versuchen. Der Amputationsschmerz hört nie auf. Es gibt die kinderlosen Alten, die mit den Kindern zerstrittenen und die Einzelgänger. Und bei allen ist die Frage:
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