Das Ende der Einsamkeit
Alessandro würde am Weihnachtsabend noch unbedingt sein Jackett brauchen. Andererseits scheute Megan diesen Anruf und wusste, dass sie sowieso keinen Schlaf finden würde, wenn sie ihn aufschob.
Die Visitenkarte in der Hand ging sie also ins Wohnzimmer, griff nach dem Telefon und wählte Alessandros Handy-Nummer, ehe sie es sich anders überlegen konnte.
Anscheinend hatte er sein Mobiltelefon immer griffbereit, denn schon nach dem zweiten Klingeln meldete er sich.
„Ich habe dein Jackett“, sagte Megan, ohne sich mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten. „Ach so, ich bin’s. Megan.“
„Ich weiß, dass du es bist.“ Alessandro schob seinen Schreibtischsessel zurück, streckte die langen Beine aus und legte die Füße auf den Schreibtisch.
Sein Weihnachtsessen war eigentlich angenehm verlaufen. Das Essen hatte selbstverständlich sämtliche Erwartungen erfüllt, wenngleich die Stimmung nach Megans fröhlich lärmender Party ein wenig flau erschien. Und obwohl Victorias Mutter, die Alessandro bereits bei einer anderen Gelegenheit kennengelernt hatte, noch genauso charmant war, wie er sie in Erinnerung hatte, fiel es ihm trotzdem schwer, sich auf die höfliche Unterhaltung mit ihr zu konzentrieren.
Dazu kam noch, dass Dominic nahezu ohne Pause von diesem Fußballtrainer schwärmte. Vor allem hatte Letzterer anscheinend angeboten, den Jungen zu einem richtigen Spiel einzuladen, womit er in Dominics Augen praktisch Heiligenstatus erlangte.
Der Fußball mit dem Autogramm erhielt sogar einen Ehrenplatz bei Tisch an Dominics Seite, und jedes Mal, wenn Alessandro das verdammte Ding ansah – was ziemlich häufig geschah, weil es nur schwer zu übersehen war –, musste er daran denken, wie dieser Fußballtrainer Megan geküsst hatte. Und jedes Mal, wenn er daran dachte, fragte er sich, ob Megan nicht vielleicht doch in Erwägung zog, den Kerl zu ihrem Liebhaber zu machen.
Alles in allem war Alessandro dann doch froh, als er sich gegen sechs mit dem Hinweis auf die wartende Schreibtischarbeit entschuldigen konnte und aufbrach.
Victoria hatte ihm eine Brieftasche aus feinstem Leder geschenkt, für die er sich natürlich angemessen bedankt hatte. Dennoch wusste er, dass er sie vermutlich nie benutzen würde, weil er an seiner alten hing, die ihn schon seit seinen Universitätstagen begleitete. Seit den Tagen mit Megan.
Da er beim Verlassen des Hauses den Mantel übergezogen hatte, hatte er sein Jackett noch gar nicht vermisst.
„Wo war es denn?“, fragte er nun und drehte den Bildschirm weg, der ihn ungebeten an den angefangenen Geschäftsbericht erinnerte.
„Ich fürchte, es war hinter den Schirmständer gefallen und ist leider etwas staubig geworden.“
„Sind deine Gäste inzwischen alle weg?“
„Natürlich, Alessandro. Weißt du, wie spät es ist? Ich möchte dich jetzt am Weihnachtsabend auch gar nicht lange stören, sondern wollte dir nur sagen, dass dein Sakko hier ist und du es jederzeit abholen kannst.“
„Jetzt wäre vielleicht passend.“
„ Jetzt? “ Megan fragte sich, was an seinem Jackett so wichtig sein konnte, dass er es unbedingt sofort zurückhaben wollte.
„Du weißt doch, dass ich Dinge nicht gern aufschiebe.“ Genau wie Alessandro wusste, dass in seinem Schrank noch mindestens zwanzig ähnliche Sakkos hingen, maßgeschneidert, mit Seidenfutter, superteuer … und völlig ersetzbar. „Mein Chauffeur hat für heute frei, aber ich schicke dir ein Taxi, das dich abholt. Dich zusammen mit meinem Jackett.“
„Nein, Alessandro. Erstens sehe ich nicht ein, warum ich dir das Sakko bringen soll. Es ist deins, also kannst du auch kommen und es dir holen. Und heute Abend ist es sowieso schon zu spät. Ich habe die vergangenen zwei Stunden mein Haus aufgeräumt und geputzt und möchte jetzt nur noch in mein Bett und schlafen.“
Obwohl sie sich geschworen hatte, dass Alessandro sie nie wieder aus dem Gleichgewicht bringen würde, genügte es, seine Stimme zu hören, und all ihre guten Vorsätze schwanden.
„Schön, dann komme ich morgen ganz früh vorbei … falls du nicht schon andere Pläne hast.“
Er fragte sich gespannt, ob sie etwas vorhatte. Victoria würde für drei Tage ihre Familie in Gloucester besuchen, eine Einladung, die er mit Hinweis auf seine Arbeit ausgeschlagen hatte. Wofür seine Verlobte natürlich jedes Verständnis aufbrachte, fuhr sie doch selber nur, weil ihre Familie ein Fernbleiben nie verziehen hätte. Alessandro hatte die Auswahl unter einer Reihe von
Weitere Kostenlose Bücher