Das Ende der Geschichten (German Edition)
nur selten Gitarre, aber da er nach wie vor im Koma lag, nahm ich sie, wischte den Staub ab, stimmte sie ein wenig und spielte ein paar meiner Lieblingsakkorde: B7, E7, a-Moll, D7. Bald taten mir ein wenig die Finger weh, doch ich spielte weiter. Das letzte Mal hatte ich vor Weihnachten gespielt, doch am Samstag würde Bob mit Sicherheit irgendwann mit seiner Gitarre ankommen, und ich wollte nicht völlig aus der Übung sein, falls er vorschlug, dass wir zusammen etwas spielten. Er liebte ausgefeilte Blues Licks und übte täglich seine Tonleitern. Ich persönlich kannte gar keine Tonleitern, und Akkorde waren mir deutlich lieber als Noten. Ich liebte die leichte Dissonanz beim Wechsel von E7 nach B7, und der Übergang von c-Moll zu Gis brachte mich jedes Mal zum Seufzen. Aus irgendeinem Grund konnte ich mit Josh gut spielen und mit Bob weniger gut. Josh und ich zählten beide, er selbstverständlich ganz bewusst, ich weniger. Er am Schlagzeug und ich an der Rhythmusgitarre – wir kamen niemals aus dem Takt, und meine manchmal etwas seltsamen Akkordwechsel störten ihn kein bisschen. Ihm war alles recht, solange wir nur den Takt hielten. Aber Christopher mochte es nicht, wenn wir zusammen spielten, deshalb hatten wir damit aufgehört.
Gegen Abend zog ich meinen Regenmantel über und lief mit B. durch die Royal Avenue Gardens bis ans Flussufer hinunter. Ich machte kurz beim Geldautomaten halt und hob hundert Pfund ab. Danach ging ich zu Libbys Laden, schob die Tür einen Spalt auf und streckte den Kopf hindurch.
«Dürfen wir reinkommen?», fragte ich. «Ich habe einen nassen Hund dabei.»
«Aber klar doch. Der Typ von der Gesundheitsbehörde war erst gestern hier, ich glaube nicht, dass er heute schon wieder kommt. Er hat mir ein paar fürchterliche Geschichten erzählt. Ein nasser Hund im Lebensmittelladen ist für den ein absoluter Klacks. Kommt hintenrum rein, ich hole ein Handtuch.»
Im Hinterzimmer des Ladens duftete es nach starkem Kaffee, nach Käse, Salami und Rohseide. Eingerichtet war es mit zwei uralten Chintzsesseln, einem Orientteppich und einer Spüle, in der ein elektrischer Wasserkocher stand. Libby hatte einmal eine Phase durchlaufen, in der sie mit Begeisterung Kreuzstich-Stickbilder mit Zitaten aus ihren Lieblingsbüchern anfertigte, und etliche davon zierten jetzt die Wände. Das längste stammte aus Anna Karenina : Zum ersten Mal hatte er damals klar begriffen, dass jeder Mensch und so auch er nichts anderes vor sich hatte als Leiden, Tod und ewiges Vergessen, und da beschloss er, so zu leben sei unmöglich, er müsse sich entweder sein Leben so erklären, dass es nicht als der böse Hohn eines Teufels erschiene, oder sich erschießen .
Am Heizkörper hingen zwei alte Handtücher. Libby griff sich eines davon und hielt es vor sich, als wäre sie ein Torero und B. der Stier.
«Darf ich sie abtrocknen?», fragte sie und wedelte dabei mit dem Handtuch. «Komm her, Bess! Wer ist mein braves Mädchen? Komm zu Tante Libby!»
Ich ließ B. von der Leine. Sie rannte auf Libby zu und wedelte dabei nicht nur mit dem Schwanz, sondern mit dem gesamten Hinterteil, sodass es aussah, als liefe sie seitwärts wie eine Krabbe. Libby rubbelte ihr den Kopf ab, weil sie wusste, dass B. das besonders mochte. Dann befahl sie ihr, sich auf den Rücken zu legen, und rieb ihr Bauch und Pfoten trocken.
«Hast du viel zu tun?», erkundigte ich mich.
«Nein. Tote Hose. Dieser verflixte Regen. Willst du einen Kaffee?»
«Ja, gerne. Soll ich ihn machen? Was hat der Mensch von der Behörde übrigens zu dem Wasserkocher in der Spüle gesagt?»
Libby grinste. «Den habe ich vorher weggeräumt.»
«Dann bist du also auch der Ansicht, dass das eventuell gefährlich sein könnte?»
«Ich lebe ja noch.»
Nachdem ich den Kocher mit Wasser gefüllt hatte, stellte ich ihn wieder in die Spüle, die wegen des zu kurzen Stromkabels tatsächlich der einzige Ort war, wo man ihn abstellen konnte. Ich drückte auf den Schalter der Mehrfachsteckdose, um den Stromfluss abzusperren. Dann erst drückte ich den Einschaltknopf am Kocher und stellte anschließend die Stromversorgung wieder an. Langsam fing das Wasser an zu köcheln. Ich ließ mich in einen Sessel fallen.
«Und wie geht’s dir?», fragte ich. «Abgesehen davon, dass du noch lebst.»
«Beschissen. Ich muss ständig aufs Klo verschwinden und ein bisschen heulen. Und du?»
«Hm. Auch beschissen. Christopher hat sich die Hand gebrochen, weil er gegen die Wand geboxt
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