Das Ende der Geschichten (German Edition)
Fanpost bombardierten und wissen wollten, welche Augenfarbe er habe und ob er verheiratet sei.
B. machte inzwischen Anstalten, Rowan auf den Schoß zu klettern. Ich zog sie herunter und fragte mich, als ich mich so dicht über ihn beugte, wie ich wohl roch. Eigentlich hatte ich ihm nicht in die Augen schauen wollen, aber dann tat ich es doch und sah Tränen darin glitzern. Die meisten Leute führen «Heuschnupfen» als Erklärung an, wenn sie weinen müssen; ich mache das auch, allerdings nicht im Februar. Ich stellte mir vor, wie Christopher den Uferweg entlangkäme und mich hier fände, während ich Rowan in die Augen blickte und sich meine Augen ebenfalls mit Tränen füllten, weil ich grundsätzlich mitweinen will, wenn ich einen Menschen, an dem mir etwas liegt, weinen sehe. Christopher wusste nichts von den Mittagessen und auch nichts von dem Kuss. Und plötzlich schienen weitere Witze über Schafe irgendwie unpassend, obwohl Rowan immer noch lächelte. Ich schwieg einen Moment lang.
«Warum hat sie das gemacht?», fragte er.
«Wen meinst du?»
«Libby Miller. Warum hat sie ihren Wagen im Fluss versenkt?»
«Ich habe dir doch vor ewigen Zeiten von der Freundin mit der hochdramatischen Liebesaffäre erzählt. Das war sie. Hast du vorhin nicht gehört, worüber wir gesprochen haben?»
«Nein. Ich bin erst gekommen, als der Wagen schon halb im Fluss war.»
«Oh. Na dann.»
«Ich sag’s auch nicht weiter.»
«Danke.»
«Komisch, nicht, wie Dinge einfach so verschwinden?», sagte er.
«Was meinst du?»
«Der Wagen im Fluss. Er ist jetzt einfach weg.»
«Es ist bestimmt das Beste so», erklärte ich.
Rowan stand auf. Ich verabschiedete mich und entfernte mich von ihm und fühlte mich dabei wie ein schmelzender Eisberg. Was war bloß los mit mir? Ich hätte ihm doch jederzeit mailen können, wenn ich das gewollt hätte. Ich hätte mich melden und ihm erzählen können, ich hätte das Buch gelesen, das er mir geliehen hatte; nur hatte ich das ja nicht getan. Ich hätte ihm eine Mail schreiben, den Kuss als Fehler hinstellen und ihm sagen können, wie sehr mir unsere Freundschaft fehlte. Im Weggehen stellte ich mir vor, umzukehren und ihn zu fragen, ob er heute Abend meinetwegen hierhergekommen war, und dann stellte ich mir vor, wie er mich verwirrt musterte und mir sagte, das sei doch alles nur Zufall gewesen.
***
War es Zufall gewesen, dass wir uns in der Bibliothek getroffen hatten? Mit Sicherheit. Normalerweise sprach ich mit niemandem darüber, dass ich unter der Woche jeden Tag in der Bibliothek arbeitete. Es war ja auch seltsam, schließlich hatte ich ein Haus, wo man wunderbar arbeiten konnte, und wenn ich die Feuchtigkeit und mein Asthma erwähnte, war die nächste Frage immer, warum ich nicht einfach umzog. Ich hatte Rowan gleich am ersten Tag bemerkt, als er zum Arbeiten in die Bibliothek gekommen war, und er mich offensichtlich auch. Nachdem wir uns ein, zwei Tage lang zugenickt und uns angelächelt hatten, zeigte ich ihm, wie er seine Mails direkt über sein Notebook anstatt über den Bibliothekscomputer abrufen konnte, und zum Dank lud er mich zum Mittagessen im Lucky’s ein. Beim Essen stellten wir fest, dass wir gemeinsame Freunde hatten: Frank und Vi. Vor fast zwanzig Jahren hatte ich bei Frank studiert, und seither waren Vi und er für mich so etwas wie ein zweites Paar Eltern. Und Rowan kannte Frank vom Goldsmiths College, wo er unterrichtet hatte, bevor er den Lehrstuhl für Geschichte an der Greenwich übernahm. Mit Vi, die Anthropologin war, verstand er sich auf Anhieb bestens, und sie hatten gemeinsam einige Reenactment-Projekte – Wiederaufführungen von historischen Ereignissen – auf die Beine gestellt. Ursprünglich hatten sie die Reise auf der Beagle nachstellen wollen, die Finanzierung aber nicht zusammenbekommen. Doch immerhin brachten sie zwei erfolgreiche Wochen in Norfolk damit zu, gemeinsam mit ihren Doktoranden den Tod von Kapitän Cook auf Hawaii nachzuspielen.
Cook war seinen anfangs sehr großzügigen Gastgebern zum Opfer gefallen, als er auf die Insel zurückkehrte, um sein kaputtes Schiff zu reparieren. («Das musst du dir in etwa so vorstellen», hatte Vi mir einmal erklärt, «als hättest du deine Eltern zu Besuch gehabt. Und als du dich gerade mit deinem arg gequälten Freund zum Abendessen gesetzt und ihm geschworen hast, sie nie wieder einzuladen, haben sie eine Autopanne und müssen noch eine Woche bei euch bleiben, bis die Autowerkstatt das nötige
Weitere Kostenlose Bücher