Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
eigentlich keinen Sinn hat, Menschen Chemikalien zu verabreichen, weil sowieso ihr Kopf die ganze Arbeit macht … Aber vielleicht macht er ja auch nur einen Teil der Arbeit. Ich habe mal von einem Versuch gehört, bei dem man Leuten, die Kopfschmerzen hatten, eine von zwei Tabletten gab, in Wahrheit waren es aber vier verschiedene: ein Aspirin mit Markennamen, eines ohne, ein Placebo mit demselben Markennamen wie das Markenaspirin und ein namenloses Placebo. Das namenlose Aspirin hat natürlich besser gewirkt als das Placebo, aber zwischen dem namenlosen Aspirin und dem Placebo mit dem Markennamen war der Unterschied sehr viel geringer. Der Markenname hatte also nachweislich Auswirkungen auf den Heilungsprozess. Das zeigt doch, wie viel von diesem Prozess im Kopf ablaufen muss. Aber man kann die Leute ja nicht zum Beten schicken oder sie zu Bongo-Trommeln tanzen lassen, wenn sie selbst der Meinung sind, sie bräuchten ein Antidepressivum. Das geht heutzutage einfach nicht mehr. Und du schreibst also über dieses Buch?»
    «Weiß ich noch nicht», antwortete ich. «Ich soll es zumindest. Darüber und über ein Buch zu Bestellungen beim Universum, eins über Hundepsychologie und eins über Tarot. Aber vor allem plane ich so eine Art Privatexperiment. Ich weiß nur noch nicht recht, wie ich das anstellen soll.»
    «Was denn für ein Experiment?»
    «Ich möchte jemanden mit dem Placebo-Effekt heilen.»
    Andrew lachte. «Na, dann viel Glück. Das wirst du brauchen.»
    «Aber du hast mir doch gerade erzählt, bei dir hat es funktioniert?»
    «Nur in Einzelfällen. Man erzählt doch immer das Außergewöhnliche, nicht das Alltägliche, oder? Die meiste Zeit wirkt ja nicht mal die Schulmedizin. Kein Placebo-Effekt und auch sonst rein gar nichts. Es kann immer so oder so ausgehen. Und ich glaube, wenn man weiß, dass das, was man nimmt, keinen Wirkstoff enthält, funktioniert es sowieso nicht. Deswegen hat mein Kommandeur mir ja vor Jahren auch nicht gleich gesagt, dass ich meinem Sergeant Vitamintabletten gebe. Ich glaube, er wusste, dass es besser funktionieren würde, wenn ich ebenfalls daran glaube.»
    «Dazu stand auch ein Aufsatz in dem Buch», sagte ich. «Das war allerdings einer von denen, die ich nur überflogen habe. Irgendwie überträgt man das wohl auf den Patienten – das eigene Wissen, dass er eigentlich gar keine Behandlung bekommt, oder den eigenen Glauben an die Medikamente, die man verabreicht. Das läuft anscheinend über fast unmerkliche körpersprachliche Signale.»
    «Hm. Es sei denn, man macht es mit dem Kopf.»
    «Hä?»
    «Möglicherweise findet der Placebo-Effekt gar nicht im Kopf des Patienten statt, sondern in deinem eigenen.»
    «Wie? Weil ich daran glaube, dass etwas wirkt, obwohl es gar nicht wirkt?»
    «Nein. Weil du mit deinem Geist heilst.»
    «So wie ein Hexendoktor?»
    «Oder einfach wie eine Hexe. Genau.»
    Ich runzelte die Stirn. Gern hätte ich Andrew gefragt, wie man vom Sanitätsoffizier bei der Marine, der ständig von harten Kerlen und Krieg umgeben ist, zu einem Menschen wurde, der so etwas wie Hexerei ernsthaft für möglich hielt. Doch im Grunde kannte ich die Antwort schon; es stand ja alles in seinem Buch. Wenn man Tote aus dem Meer rufen hört, muss man anschließend zwangsläufig an Dinge glauben, deren Existenz von anderen Leuten bestritten wird.
    Neben mir trat jemand an den Tresen und bestellte ein Pint Old Moggie.
    «Ich gehe dann mal langsam», sagte ich. «Tausend Dank nochmal für das Cottage.»
    «Ich hoffe, du kannst die Aussicht genießen und dort gut schreiben.» Andrew setzte seine Brille wieder auf. «Und viel Glück auch mit deinem Experiment.»
    «Wie du schon gesagt hast, das werde ich wohl brauchen.» Ich seufzte. «Wahrscheinlich kann ich es mir abschminken, den Placebo-Effekt einfach so zur Heilung einzusetzen, oder?»
    «Es wird nicht gelingen, wenn du ihn als Placebo-Effekt bezeichnest», antwortete Andrew. «Vor allem dann nicht, wenn du selbst nicht daran glaubst.»
    «Nein.»
    Andrew reichte seinem Kunden das Bier und nahm das Geld entgegen. «Danke, Kumpel», sagte er. Anschließend wandte er sich wieder mir zu. «Was ist denn das Problem? Wen willst du überhaupt heilen?»
    «Ach, mein Freund hat sich die Hand gebrochen. Er verträgt die Schmerzmittel nicht so gut und hätte gern etwas Natürliches. Aber ich weiß nicht, wie ich das angehen soll, und die Sache mit dem Placebo-Effekt hörte sich so einfach an. Man verabreicht jemandem irgendwas,

Weitere Kostenlose Bücher