Das Ende der Geschichten (German Edition)
davon sind extrem kompliziert, weil sie damit zusammenhängen, wie man sich selbst definiert und unter welchen Umständen man glaubt, noch mit sich selber leben zu können.»
«Vielleicht bin ich ja einfach nur feige.»
«Ich glaube, so simpel ist das nicht. Niemand ist einfach nur feige.»
«Aber wenn sich alle jedes Mal von ihren Partnern trennen würden, wenn ihnen gerade danach ist, gäbe es ja gar keine Beziehungen mehr auf der Welt.»
«Stimmt. Aber wenn man schon seit vielen Jahren daran denkt …?»
«Ich dachte, du wolltest mir nicht sagen, was ich tun soll.»
«Ja, ich weiß. Aber nach allem, was du gerade erzählt hast, liegt es irgendwie auf der Hand. Ich spiegele dir nur zurück, was du mir sagst. Von allem anderen abgesehen, ist das auch Mark gegenüber unfair. Und definitiv Bob gegenüber.»
«Was bin ich nur für ein schrecklicher Mensch!»
«Überhaupt nicht, Dummchen. Du bist ein wunderbarer Mensch. Deswegen wollen dich ja so viele Männer. Du bist nur gerade ein bisschen durcheinander, und du willst das Richtige tun. Mir kam es richtig vor, mit Christopher zusammenzubleiben, obwohl ich genau wusste, dass wir falsch füreinander sind; aber ich dachte, man kann sich Leidenschaft erarbeiten oder sie lernen. Aber man kann eben nicht einfach so beschließen, glücklich zu sein, und ich glaube, Leidenschaft kann man auch nicht lernen. Und wie wir schon mal festgestellt haben: Wer weiß denn schon, was überhaupt ‹das Richtige› ist?»
«Gut, aber wie wichtig ist mein Glück denn schon, global gesehen? Auf der ganzen Welt sind massenhaft Menschen unglücklich, die leben alle trotzdem weiter. Meine Probleme sind doch nur trivial und lächerlich. Wenn Bob jetzt beispielsweise mein kranker Vater wäre, könnte ich ihn doch auch nicht einfach so verlassen; ich müsste mich eben damit arrangieren. Ich versuche schon die ganze Zeit, mir einzureden, er wäre mein kranker Vater. Aber das hat nicht geklappt.»
Ich musste lachen. «Na, kein Wunder, dass das mit dem Sex nicht so toll war.»
«Ja, lach du nur.»
«Außerdem hindern kranke Väter einen nicht daran, sich zu verlieben.»
«Die im Fernsehen schon.»
«Gut, aber im Fernsehen würde dir das trotzdem keiner vorwerfen – dass du dich verliebt hast, meine ich. Das ist doch gerade der Zweck von kranken Eltern in Fernsehsendungen, oder? Sie fungieren nur als Hindernisse auf dem Weg des Helden oder der Heldin – als Spielart der Eltern, die einen bevormunden, mit einem bestimmten Menschen verheiraten oder zwingen wollen, das Familienunternehmen zu führen. Bei so einem Hindernis ist man praktisch moralisch verpflichtet, sich zu verlieben, damit die kranken Eltern selbst noch ein erfülltes Leben führen können, ohne sich ständig auf einen zu verlassen.»
«Das stimmt natürlich.»
«Aber deine Beziehung zu Bob ist etwas völlig anderes. Du bist quasi verpflichtet, mit ihm zu schlafen, und darfst keinen anderen lieben.»
Libby schlug beide Hände vor den Mund, dann ließ sie sie wieder sinken.
«O mein Gott! Du hast recht.»
«Entschuldige, wenn das ein bisschen krass war.»
«Mein Gott. Nein, jetzt wird mir plötzlich alles klar. Ich muss es tatsächlich tun. Ich werde mich von ihm trennen müssen.»
«Es ist das einzig Vernünftige. Du hast es selber gesagt.»
«Oh, Scheiße!»
«Ja.»
«Dann gehe ich also weiter dem Untergang entgegen.»
«Es muss ja gar nicht der Untergang sein. Du kannst nicht vorhersehen, was passieren wird. Ich glaubte, ich hätte etwas richtig Schlimmes getan, als ich Drew damals für Christopher verlassen habe, aber nach unserer Trennung ging es mit Drews Karriere steil bergauf, und am Ende ist er dann mit Rosa Cooper zusammengekommen. Er hatte immer eine Schwäche für sie, also hat sich für ihn doch irgendwie noch alles zum Guten gewendet, zumindest eine Zeit lang … Und mir ging es wie einem Tier, das in eine Leimfalle geraten war: Ich saß in Dartmouth mit Christopher fest.»
Zu Vis Lieblingsmärchen gehörte das vom Hasen, der an der Leimfalle eines Bauern kleben bleibt. Ein Kojote kommt des Wegs und fragt den Hasen, was er denn da mache und warum er dort festhänge. Der Hase antwortet ihm, der Bauer sei verärgert gewesen, weil er, der Hase, keine Melonen mit ihm habe essen wollen. Deshalb habe der Bauer ihn jetzt hier festgesetzt und wolle ihn zwingen, als Nächstes Hähnchen mit ihm zu essen. Der Kojote befreit den Hasen und drückt sich selbst an die Leimfalle, weil er derjenige sein will,
Weitere Kostenlose Bücher