Das Ende der Geschichten (German Edition)
Strohhalm hinhielt. «Wir wissen ja alle, was für ein Multi-Talent du bist, aber selbst du wirst es nicht schaffen, gleichzeitig zu stricken und zu trinken. Daher der Strohhalm. Tante Iris hat immer einen Strohhalm zum Trinken benutzt, wenn sie strickte. Sie hat ordentlich gebechert, bis sie sturzbesoffen war, und dann hat sie jede Menge Maschen fallen lassen und Seemannslieder gesungen, manchmal bis in den frühen Morgen. Ich glaube, sie hatte auch ein, zwei Stricklieder, die hat sie allerdings bestimmt erfunden.»
«Ich lese gerade ihr Buch», sagte ich. «So habe ich das hier überhaupt erst gelernt.»
Ich hielt meine Socke hoch, die für das ungeübte Auge allerdings wohl noch nicht so recht nach Socke aussah. Trotzdem, ich hatte bereits sechsunddreißig Reihen gestrickt, und für mich sah es sehr wohl nach etwas aus. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Andrew nur einen flüchtigen Blick darauf werfen und Bewunderung heucheln würde. Doch er beugte sich vor, nahm die Brille ab und befühlte die Strickarbeit sanft mit seinen großen Fingern.
«Gar nicht übel», meinte er. «Mach dir keine Sorgen wegen den knotigen Stellen und dem Staub, das geht alles raus, wenn du sie das erste Mal wäschst. Schöne Wolle. Nimmst du auch Bestellungen auf?»
«Bestellungen?» Ich musste lachen. «Ich bin ja noch nicht mal bei der Ferse. Und wenn das nicht klappt, wird die erste Socke meines Lebens möglicherweise auch die letzte Socke meines Lebens sein. Vielleicht werden am Ende ja nur Stulpen draus.»
«Es geht nichts über handgestrickte Socken», sagte Andrew. «Sie hat mir immer welche gestrickt.»
«Iris?»
«Ja. Das halbe Dorf hat sie damit versorgt. Wenn man einmal selbstgestrickte Socken anhatte, kann man sich danach unmöglich wieder welche kaufen. Ist einfach nicht dasselbe.»
«Weißt du was?», sagte ich. «Wenn ich dieses Paar schaffe – und ich warne dich, das wird mindestens hundert Jahre dauern –, stricke ich als Nächstes welche für dich. Als Dank für das Cottage und überhaupt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie gern ich hier wohne.»
«Ach, das ist doch nicht nötig.» Er setzte die Brille wieder auf. «Ich mache doch nur Spaß.»
Ich zuckte die Achseln. «Wie du meinst. Übrigens werde ich für die Zeitung auch über Iris’ Buch schreiben. Das solltest du vielleicht dem Verlag sagen.»
Andrew grinste. «Danke. Und wenn ich’s mir recht überlege: Was rede ich da eigentlich? Ich bin ja wohl nicht ganz richtig im Kopf. Wenn du mir ein Paar Socken strickst, dann kriegst du Feuerholz umsonst, so viel du willst. Und dazu noch ein paar – oder auch viele – Pints Beast aufs Haus.»
«Abgemacht.»
Andrew zog sich zurück, um Gläser zu spülen, und ich strickte weiter. Eine halbe Stunde später kam Libby herein, eine Kiste Rhabarber unter dem Arm.
«Ha, ha!», rief sie.
«Ha, ha», gab ich zur Antwort. «Schon gut, ich werde Marmelade kochen.»
Sie stellte den Rhabarber auf den Tisch, setzte sich neben mich und nahm die Sonnenbrille ab.
«Meine Fresse, du strickst ja eine Socke!»
«So ist es.»
«Wo in Gottes Namen hast du denn das gelernt? Hast du etwa eine neue beste Freundin?»
«Kann man so sagen. Allerdings lebt sie nicht mehr.» Ich erzählte Libby von Iris Glass. «Und das Allertollste ist, dass die Zeitung mir eine Kolumne gegeben hat, für die ich jede Woche ein anderes Hobby ausprobieren soll. In der übernächsten ist Sockenstricken dran.»
Andrew kam zu uns herüber und wandte sich an Libby. «Sie hockt die ganze Zeit nur in diesem Cottage und strickt und näht und macht und tut. Du solltest mal mit ihr tanzen gehen oder so was, sonst wird sie noch eine richtige Eremitin.» Er lachte. «Was kann ich dir denn zu trinken bringen?»
«Dasselbe wie Meg», erwiderte Libby. «Und ich glaube, wir sind zu alt zum Tanzengehen.»
«Ich mache auch nur Spaß», meinte Andrew. «Schließlich bin ich selbst ein Eremit. Ist ja nichts Falsches dran. Wollt ihr auch was essen? Ich habe frische Austern da und einen sehr schönen Seelachs.»
Wir bestellten beides. Libby schaute sich meine Socke genauer an und quietschte vor Begeisterung, als sie sah, dass sie sich tatsächlich so entwickelte, wie sich das für eine Socke gehörte.
«Kein Mensch lernt Sockenstricken aus einem Buch», sagte sie. «Das ist viel zu schwierig.»
«Jede Menge Menschen lernen Dinge aus Büchern. Meist sind es allerdings die falschen Dinge. Aber meine Kolumne soll ja genau davon handeln, wie man gute Sachen
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