Das Ende der Geschichten (German Edition)
sollen Teenagern die Welt verständlich machen. Und sie müssen eine gute Geschichte erzählen.»
«Ich glaube, ich weiß nicht, was eine gute Geschichte ist.»
«Ich auch nicht. Glaub mir, ich verstehe dich sehr gut. Aber es liegt nun mal ein großer Unterschied zwischen dem, was man mit Romanen, und dem, was man mit Sachbüchern leisten kann. Wenn man in einem Roman beispielsweise eine Figur hat, die Außerirdischen begegnet, muss sich irgendwann herausstellen, dass diese Figur sich entweder irrt oder geistig verwirrt ist – andernfalls muss man den Roman in einer anderen Welt als unserer ansiedeln, in der Zukunft etwa oder in einem Paralleluniversum. Er würde sonst gar nicht zu dem passen, was wir heute unter Realität verstehen. Als Wissenschaftler kann man dagegen ein Buch schreiben, das Spekulationen über Außerirdische anstellt, ohne dass irgendjemand das seltsam finden würde. Also, mancher natürlich schon, aber … Hör mal, soll ich dein Exposé am Freitag auch wirklich vorschlagen?»
Tim schwieg.
«Tim?», hakte ich nach. «Bist du noch dran?»
«Du willst mein Exposé ablehnen, weil ich auf der Suche nach der Bestie bin?»
«Aber nein! Ich will damit nur sagen, dass du es auch wieder von Orb Books zurückziehen kannst, falls du vielleicht ein ganz anderes Buch daraus machen willst. Das ist schließlich nicht der einzige Verlag auf Erden.»
«Aber er ist kurz davor, es anzunehmen. So eine Chance habe ich noch nie im Leben gehabt.»
«Ja, genau, deswegen …»
«Deswegen soll ich jetzt aufgeben und nach Hause zurückfahren? Das geht nicht. Morgen will die Totnes Times ein Telefoninterview mit mir machen. Und nächste Woche kommt so ein amerikanischer Schriftsteller. Er will meine Heldenreise für irgendeine Anthologie protokollieren. Er hat sich total dafür interessiert, wie ich das alles mache, dass ich zelte und mich von Samtfußrüblingen und Morcheln ernähre, wenn ich welche finden kann …»
«Wie heißt der denn?»
«Weiß ich nicht mehr, aber er ist anscheinend ziemlich bekannt.»
«Kelsey Newman?»
«Ja, kann gut sein. Er hält nächste Woche einen Vortrag in Totnes.»
«Genau, da werde ich auch hingehen. Das muss er sein. Er ist sicher ein wertvoller Kontakt für dich. Frag ihn doch mal, wie du mit der Bestie verfahren sollst.»
«Ja. Vielleicht mache ich das. Jedenfalls kann ich jetzt nicht aufgeben.»
«Ich sage ja auch gar nicht, dass du aufgeben sollst. Aber wenn du die Bestie nicht findest, ist das für dein Buch eventuell besser. Setz einfach nicht deine gesamte Hoffnung darauf, sie zu sehen. Und falls du sie doch sehen solltest, sei bloß vorsichtig mit dem Gewehr.» Ich merkte, dass ich im Begriff war, aus meiner Rolle als potenzielle künftige Auftraggeberin zu fallen. «Sei einfach vorsichtig», wiederholte ich.
«Du hörst dich schon an wie meine Frau», sagte er.
«Ja, tut mir leid. Ich lasse dich wissen, wie es Freitag läuft, ja?»
***
Am nächsten Tag war es sonnig und windstill. Ich fand es für ein Kaminfeuer nicht kalt genug; B. war da allerdings anderer Ansicht. Ich konnte kaum in Ruhe auf dem Sofa sitzen und an meiner Socke weiterstricken, weil sie mich in regelmäßigen Abständen fixierte und sich dann demonstrativ vor den Kamin stellte und ihn anstarrte. Einmal gab sie sogar der Streichholzschachtel einen Schubs mit der Pfote, sodass sie sich klappernd überschlug. Genau dieselbe Nummer wie mit dem elektrischen Heizlüfter.
Schließlich gab ich das Stricken auf, beantwortete stattdessen ein paar Mails an meinem neuen Küchentisch und machte dann einen langen Spaziergang mit B. im schwächer werdenden Sonnenschein. Hinter Start Point sah ich dunkle Wolken aufziehen, und als wir gerade wieder zu Hause waren, fing es an zu regnen. B. machte es sich mit ihrem Kauknochen gemütlich, und ich kochte Rhabarbermarmelade, während sich der Regen draußen in Hagel und dann wieder in Regen verwandelte. Als ich gerade damit fertig war, die Marmelade in Gläser zu füllen, vibrierte mein Handy. Eine SMS von Rowan. Kann ich heute um 5 vorbeikommen und mir Dein Schiff anschauen? Ich hoffe, es geht Dir gut. Um fünf? Ich schaute auf die Küchenuhr. Es war schon kurz vor drei. Wie sollte ich mich da noch rechtzeitig fertig machen? Andererseits: Wofür musste ich mich eigentlich fertig machen? Wir waren einfach nur zwei Menschen, zwei zufällig vereinte, gärende Klumpen irgendeiner Substanz, wie Tolstoi das formuliert hatte, die sich zusammen im selben Raum
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