Das Ende der Geschichten (German Edition)
aus Büchern lernt. Sockenstricken zum Beispiel.»
«Mein Gott! Das klingt ja wie die Projektwoche in der Schule, wo man in die Bibliothek gehen musste, um herauszufinden, wie man ein Lagerfeuer macht, ein Regal baut oder sich selber eine Schürze näht.»
«So muss es aber doch gar nicht sein.»
«Ich glaube ja, du kannst Socken stricken, weil du das beim Universum bestellt hast.»
«Ach Gott, ja, das habe ich tatsächlich gemacht, oder?» Ich musste lachen.
«Das ist die einzig vernünftige Erklärung dafür.»
Ich musterte Libby etwas genauer. Sie schien um ein paar Jahre gealtert zu sein, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. «Geht’s dir gut? Du siehst ziemlich müde aus und ein bisschen bleich, wenn ich das mal so sagen darf.»
«Ach, das ist nur, weil ich vergessen habe, mir die Wimpern zu tuschen.» Sie seufzte. «Ich bin wieder mit Mark zusammen. Zumindest schlafen wir wieder miteinander.»
«Mist. Wie das denn? Und seit wann?»
«Vielleicht ist er ja mein Schicksal.»
«Du glaubst doch gar nicht an Schicksal.»
«Aber Bob glaubt daran. Er hat mir gesagt, ich wäre sein Schicksal.»
«Gut, jetzt erzähl mal von Anfang an.»
Libby seufzte wieder. Und während wir erst unsere Austern und anschließend den Seelachs mit Rote Bete und Kartoffelpüree verzehrten, erzählte sie mir, was passiert war.
«Irgendwie war mein Kopf die ganze Zeit wie tot, als hätte ich irgendwas zwischen Beton und Watte drin. Wenn ich nachdenken wollte, ist einfach nichts passiert. Plötzlich wusste ich gar nicht mehr, worüber ich mit Bob reden sollte. Als es Mark noch gab, war ich die ganze Zeit so beschäftigt damit, von A nach B zu rennen und alles doch noch irgendwie hinzukriegen. Das Leben hat sich irgendwie aufregend angefühlt, verstehst du? Und real. Nur mit Bob zusammen zu sein kam mir irgendwie unehrlicher vor als mit Bob und Mark. Vorher musste ich so tun, als würde ich Bob lieben – also, du weißt schon, auf diese ganz spezielle Weise lieben –, aber eigentlich habe ich Mark geliebt. Und als Mark dann nicht mehr im Spiel war, bestand mein ganzes Leben irgendwie nur noch aus ‹so tun, als würde ich Bob lieben›. Ich habe ziemlich viel darüber nachgedacht. Vielleicht versuche ich ja auch nur, mich zu rechtfertigen. Aber ich bin einfach immer mehr unter Stress geraten und auch ein bisschen depressiv geworden. Früher habe ich das nie verstanden, was du mir von deiner Depression erzählt hast: dieses Gefühl, dass nichts mehr eine Bedeutung oder einen Sinn hat. Aber jetzt ging es mir plötzlich auch so. Jedes Gespräch, das ich mit Bob führen will, muss ich allen Ernstes im Voraus planen. Ich mache mir Notizen, aber das hilft auch nicht viel. So wie als Kind, weißt du, wenn man eine Doppelstunde Bio mit dem langweiligsten Lehrer der Welt hat und schon bei der Vorstellung am liebsten auf der Stelle einschlafen würde. So habe ich mich auch jedes Mal gefühlt, wenn ich mir vorgestellt habe, mit Bob zu reden. Vorher bin ich damit gut klargekommen, weil ich an Mark gedacht habe, an das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, oder an unsere nächste Begegnung und was ich dann anziehen würde und so. Wegen Mark bin ich zum Friseur gegangen und habe mir die Nägel lackiert. Aber für Bob war es mir den ganzen Aufwand irgendwie nicht mehr wert. Klingt das alles sehr schrecklich?»
«Nein, natürlich nicht. Ich kenne dieses depressive Gefühl, von dem du sprichst. Als es bei mir so richtig schlimm war, konnte ich praktisch mit keinem Menschen mehr reden. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Wenn meine Mutter anrief und fragte, was ich so gemacht hätte, konnte ich mich an gar nichts mehr erinnern.»
«Ja, genau so ist das. Und es schwappt auch schon in mein übriges Leben hinein. Ich stehe den ganzen Tag im Laden und habe nichts, worauf ich mich freuen kann; ich habe nicht mal mehr Lust, die Schaufenster neu zu dekorieren, wenn es mal ruhiger ist. Stattdessen gehe ich nach hinten und heule, weil sich das wenigstens noch echt und dramatisch anfühlt, als würde tatsächlich etwas in meinem Leben passieren, als müsste etwas passieren. Manchmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich mir morgens die Wimpern tusche und mich frage, wozu ich das eigentlich mache. Die ganze Zeit habe ich mich bei allem Möglichen gefragt, wozu ich das überhaupt noch mache. Hat Darwin nicht gesagt, dass sich alles eigentlich mehr oder weniger ständig nur um Sex dreht? Und Sex dient der Fortpflanzung. Was ist mein
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