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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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gekauft, unter anderem Schreckschusspistolen, Wunderkerzen, Duftradiergummis, Schnupftabak und Gerüchten zufolge sogar The Joy of Sex von einer alten, fast blinden Frau. Wir steuerten daher direkt auf den Bücherstand zu und machten uns auf die Suche nach Büchern, die wir nicht kaufen durften, weil wir aus Erfahrung wussten, dass wir eine ganze Menge schmutzige Stellen lesen konnten, bevor wir wieder nach Hause mussten. Während Rosa sich in ein Buch mit dem Titel Tantra für Anfänger vertiefte, sah ich es plötzlich: ein schmales, rotes Taschenbuch mit der Aufschrift ESP: Der sechste Sinn . Es war ein Buch aus der Macdonald-Guidelines-Serie, und es hatte ein beängstigendes Titelbild, das ein riesiges Auge mit einer geisterhaften Frauengestalt darin zeigte. Ich nahm es und blätterte darin. Es enthielt ein Foto von Uri Geller, der einen Löffel verbog, und etliche Abbildungen von Séancen, von Menschen, die durchs Feuer gingen, von Traumsymbolen, Wünschelrutengängern und Wunderheilern. Obwohl das Titelbild so schrecklich war, dass ich es kaum anschauen konnte, spürte ich doch, wie sich etwas in mir regte, als ich in dem Buch blätterte. Im letzten Teil wurde erklärt, wie man selbst übersinnliche Fähigkeiten entwickeln konnte. Das musste ich haben. Es kostete fünfzehn Pence. Ich griff nach einem Enid-Blyton-Buch, das ich noch nicht hatte, und ging zu meiner Mutter, die sich angeregt mit einer Nachbarin unterhielt.
    «Darf ich mir die kaufen, Mum?», fragte ich.
    Sie warf kaum einen Blick auf das Buch unter dem von Enid Blyton.
    «Ja, Schatz», sagte sie.
    Später in meinem Zimmer, als ich völlig in mein Buch versunken auf dem Bett lag, rappelte sich Rosa von dem Sitzsack auf, auf dem sie sich zusammengerollt hatte, um ihren Schwarze-Sieben -Roman auszulesen, und kam gähnend zu mir herüber. Sie warf sich zu mir aufs Bett und hüpfte ein bisschen auf der Matratze.
    «Lass das», sagte ich. «Ich lese.»
    «Worum geht es in dem Buch denn überhaupt?»
    «Um übersinnliche Fähigkeiten», antwortete ich. «Aber das ist geheim, das darfst du keinem erzählen.»
    «Und was ist das?» Sie deutete über meine Schulter hinweg auf ein Bild.
    «Da geht’s um Poltergeister.» Ich stolperte ein bisschen über das Wort.
    «Ach», meinte Rosa unbeeindruckt, «so einen haben wir auch.»
    ***
    «Ich habe dir ja gesagt, es gibt hier häufig Fährunglücke», sagte ich zu Rowan.
    Es war Dienstagmorgen, und die Higher Ferry, auch bekannt unter dem Namen «Schwimmende Brücke», hatte eine Panne. Die ortsansässigen Pendler waren alle aus ihren Wagen gestiegen und telefonierten, zündeten sich Zigaretten an oder inspizierten die Teile der Fähre, die ihres Erachtens nicht funktionierten. Die wenigen Touristen und Ortsfremden blieben im Wagen sitzen und beobachteten die Fährleute. Rowan, der sonst nie um diese Zeit mit der Fähre fuhr, hatte sich über das Sicherheitsgeländer gebeugt und eines der Wasserräder in Augenschein genommen, doch jetzt sah er mich an. Ich schaute zurück, und plötzlich geschah etwas mit unseren Augen: Sie berührten sich. Irgendwo in dem Raum, der zwischen uns lag, berührten wir uns, ohne uns zu berühren. Ich wollte nicht loslassen und er anscheinend auch nicht, denn wir hielten uns auf diese Weise bald zehn Sekunden lang bei den Blicken. Fast schien es, als würden wir uns gleich wieder küssen.
    «Du hast mir aber auch davon abgeraten, die Lower Ferry zu nehmen», meinte er schließlich und ließ die Augen sinken.
    «Bei der habe ich einfach das schlechtere Gefühl», sagte ich, senkte meinen Blick ebenfalls und sah kurz hinunter zum Fluss und aufs Meer hinaus. Wie sollte man einen solchen Augenblick beschreiben? Wie konnte man sicher sein, dass überhaupt etwas passiert war?
    Rowan nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Dünne Hautfältchen strichen um seine Augen wie ausgehungerte Haie, und sein Gesicht war hellgrau wie das Meer im Mondlicht. Er sah aus, als hätte er seit einer Woche nicht geschlafen. Wie immer war er in Duffelcoat und Jeans, das Haar stand wild nach allen Seiten ab.
    «Aber die hier scheint mir deutlich pannenanfälliger zu sein», sagte er und lehnte sich über das Geländer. In der Hand hielt er seine Brille, die an einem Bügel herabbaumelte.
    «Immerhin ist sie ein Musterbeispiel viktorianischer Schiffsbaukunst», erwiderte ich.
    «Stimmt», pflichtete Rowan mir bei. «Baujahr?»
    «Da muss ich passen», sagte ich. «Dafür weiß ich aber, dass ein hiesiger

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