Das Ende der Geschichten (German Edition)
Schiffsbauer die Idee dafür von einem schottischen Studenten geklaut hat.»
«1831», sagte Rowan. «Zumindest wurde der Fährbetrieb in dem Jahr eröffnet. Der Schiffsingenieur hieß James Rendel, der schottische Student James Nasmyth. Und Rendel hat ihm die Idee eigentlich nicht geklaut. Oder vielleicht doch. Nasmyth war bereits Ingenieur, als er auf Rendel traf. Er hat ihm von der verrückten Idee erzählt, die er als Student hatte – nämlich Schiffe an Kabeln laufen zu lassen –, woraufhin Rendel beschloss, das auszuprobieren.»
«Aha. Genau deshalb bist du Historiker und ich Autorin. Das meiste davon wusste ich eigentlich, hatte es aber längst wieder vergessen. Woher weißt du denn so viel über die Higher Ferry?»
«Wegen dem Greenway-Projekt», antwortete Rowan. «Bevor Agatha Christie mit ihrem Mann dort hingezogen ist, gehörte das Anwesen James Marwood Elton, dem High Sheriff von Devon. Er lehnte eine Brücke ab, daher fingen die Leute an, sich für andere Möglichkeiten zur Überquerung des Flusses zu interessieren. Ursprünglich wurde die schwimmende Brücke von zwei Pferden angetrieben. Agatha Christie wird diese Fähre wohl auch genommen haben.»
«Als sie verschwunden ist, meinst du?»
Ich wusste bereits aus Rowans Erzählungen, dass Agatha Christie so wütend über die Affäre ihres Mannes gewesen war, dass sie einfach ihr eigenes Verschwinden inszeniert hatte. Sie hatte ihr Auto in einen Straßengraben gefahren und sich in ein Kurhotel in Harrogate zurückgezogen, wo sie unter falschem Namen eincheckte; wenn ich mich recht erinnerte, sogar unter dem Namen der Geliebten ihres Mannes. Als die Zeitungen davon erfuhren, gerieten sie derart aus dem Häuschen, dass Agatha Christie einen Nervenzusammenbruch vorschützen musste. Ein gutes Jahr später reichte sie die Scheidung ein, fuhr zu einer archäologischen Ausgrabung und lernte dort den Mann kennen, der ihr zweiter Ehemann werden sollte. Er war vierzehn Jahre jünger als sie. Angeblich fuhr er sie gerade im Rollstuhl spazieren, als sie im Alter von fünfundachtzig eines natürlichen Todes starb. Ich erinnerte mich noch genau, wie pessimistisch Rowan gelächelt hatte, als er mir dieses Detail erzählte.
«Nein», erwiderte er nun. «Nach Greenway ist sie erst gezogen, als sie schon mit Max Mallowan, dem Archäologen, verheiratet war.» Er setzte die Brille wieder auf, lehnte sich an das Sicherheitsgeländer und sah mich an. «Angeblich zeigen Navigationssysteme die Higher Ferry als Landstraße an.»
«Ich habe mal gehört, dass manche Navis richtiggehend ausflippen, wenn man den Fluss überquert. Keine Ahnung, ob das ein Großstadtmärchen ist oder nicht. Eine Freundin von Libby, die mal zu Besuch gewesen ist, hat behauptet, als sie auf die Lower Ferry gefahren sei, hätte ihr Navi gerufen: ‹Kehren Sie um! Sie sind in großer Gefahr! Sie sind in einen Fluss gefahren.› Oder so was in der Art.» Ich warf einen Blick auf seinen Wagen. «Du hast doch sicher auch ein Navi.»
«Klar. Lise hat eins einbauen lassen», sagte Rowan. «Aber ich schalte es immer aus. Die meiste Zeit weiß ich sowieso, wohin ich fahre.» Er beugte sich wieder über das Geländer der Fähre. «Was glaubst du – wo genau sind die Kabel?»
Ich stellte mich neben ihn, und wir hängten uns beide über das Geländer. Mindestens vier Schichten Kleidung und etwa fünf Zentimeter Luft trennten unsere Arme voneinander.
«Drunter wahrscheinlich. Sie verlaufen sicher auf dem Flussbett.»
«Irgendwann soll die Fähre mal mit einer Herde Kühe an Bord gesunken sein, die mussten dann alle an Land schwimmen.» Er schwieg kurz. «Hast du mir das nicht erzählt?»
«Ja. Und irgendwann in den Achtzigern sind die Kabel einmal gerissen, und die Fähre trieb flussabwärts. Etwa so wie vor fünf Jahren, nur noch schlimmer. Sie muss mindestens zwölf Segelboote niedergemäht haben. Außerdem war ein Krankenwagen mit an Bord, der eine Frau ins Krankenhaus bringen sollte. Sie ist gestorben. Manche behaupten, in stürmischen Nächten sehe man noch den schwachen Umriss des Krankenwagens auf der Fähre und höre ihre verklingenden Todesschreie.»
Rowan erbleichte. «Mein Gott», sagte er. «Das ist ja schrecklich.»
«Ja. Aber vermutlich stimmt das Wenigste davon.»
Er drehte sich um und schaute flussaufwärts. Ich konnte nicht erkennen, was er da betrachtete.
«Wie läuft es denn mit dem Kapitel?», erkundigte ich mich.
«Ach. Ich würde sagen, ich recherchiere zu viel und
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