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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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Verzweifelung, in den Tod zu treiben. Es handelt sich tatsächlich um Selbst-Mord. Das Selbst wird ermordet . Der sogenannte Freitod ist frei nur in rechtlicher, moralischer Hinsicht. Denn welche [90] Freiheit hat der Mensch, der sich hassen muss. Welche Freiheit hat der, der hoffen muss, über jeden Tag, jeden Menschen hinaus, dessen Nervensystem dem Unbegrenzten ausgeliefert ist – der absoluten Freiheit, der Unendlichkeit.

[91] TEIL II
    DIE UNENDLICHKEIT MÖGLICHER PARTNER

[93] VIER
    WIE UNENDLICHKEIT ENTSTEHT
    Das vierte Kapitel: in dem erzählt wird, wie die Unendlichkeit möglicher Partner entsteht; in dem die Geschichte der Liebe als eine Geschichte der Wahlfreiheit erzählt wird; in dem erläutert wird, wie die kritische Masse der Liebe zustande kommt, in der alle Menschen so schnell aufeinander reagieren, dass keine Verbindung mehr von Dauer ist; in dem das Sehen als der Sinn vorgestellt wird, der die Unendlichkeit möglicher Partner erfasst; in dem erzählt wird, dass die Menschen keinen Unterschied mehr machen zwischen dem, was sie auf Bildern, und dem, was sie in Wirklichkeit sehen; dass die Medien die Natur von heute sind; in dem von der unendlichen Stadt berichtet wird, deren Wesen nicht mehr die Anonymität ist, sondern die allgegenwärtige Möglichkeit der Intimität; die überall durchströmt wird von der ganzen Welt; wo die Menschen also, wenn sie auf einer Wiese sitzen, um die Welt reisen; in dem von einem Mann berichtet wird, der am Gepäckband eines Flughafens einer Frau begegnet und der das Vertrauen in die Wirklichkeit verliert, weil die Wirklichkeit überall vom Möglichkeitsdruck auseinander getrieben wird; in dem vom Wunder des Passanten berichtet wird; davon, dass der Passant aus der Masse hervorgeht wie die Gischt aus dem Meer; in dem erzählt wird, wie das gesamte sogenannte Liebesleben der Menschen erstmals in der Geschichte industrialisiert wird; in dem also von den Industriegebieten der Liebe berichtet wird; vom Nachtleben, das zum Alltag wird; von der Suche im Internet; von Prostitution und Pornografie; in dem erklärt wird, warum heute bereits eine U-Bahn-Fahrt Pornografiekonsum ist

[94] Alle Entwicklungen der neueren Geschichte gehen von der Einzahl zur Vielzahl. An die Stelle eines Herrschers – des Königs, des Diktators – tritt die Herrschaft der Vielen, die Möglichkeit vieler Amtsinhaber. An die Stelle des Monopols, der exklusiven Lizenz, tritt die Konkurrenz der Produzenten und Händler. An die Stelle des einen Produkts tritt die Vielzahl ähnlicher Produkte. An die Stelle der einen Wahrheit tritt die Vielzahl der Wahrheiten.
    Nur die Liebe soll sich noch auf Einen beschränken. Es ist, so heißt es, ihr Wesen, das zu tun. Die Liebe ist Königtum in Zeiten der Demokratie, Monopol in der Marktwirtschaft, Produkt ohne Vergleich, Wahrheit ohne Alternative. Vielmehr: Sie soll es sein.
    Kann sie es noch?
    Die Liebe unterscheidet sich von der Produktwahl, der moralischen und politischen Wahl durch ein zentrales Moment: Sie kennt nicht den Ausweg der Resignation. Ins Gewebe der Liebe ist gestickt: Resignation ausgeschlossen. Ein Mensch, der lange ein Produkt, die richtige Moral, die richtige Partei gesucht hat, kann resignieren. Er kann sagen: »Jetzt ist es mir egal!« Er wählt etwas, ohne von seiner Wahl überzeugt zu sein. Dieser Weg, der Weg der produktiven Resignation , ist in der Liebe ausgeschlossen. Die Liebe ist ja die Liebe, ihr Wesen ist uneingeschränkte Bejahung. Sie ist tyrannisch, totalitär, denn sie verlangt nicht nur Unterwerfung, sondern Überzeugung. Es reicht nicht, die Liebe zu wählen, sich der Liebe zu ergeben. Der Mensch muss jubeln, lachen, die Arme in die Luft werfen. Das heißt: Eine Rettung ins Egale ist unmöglich. Die Liebe kann sich der Mehrzahl und Überzahl durch Kapitulation nicht entziehen. Sie muss die Mehrzahl überwinden. Es gilt auf Sieg oder Tod.
    [95] Dabei war der Schritt von der Einzahl zur Mehrzahl nur der erste Schritt. Es war nur der Schritt über die Schwelle des elterlichen Hauses, der alten Ordnung. Schon der nächste Schritt führte von der Mehrzahl zur Unendlichkeit. Nun existieren unendlich viele – unüberschaubar viele – ähnliche Produkte und Wahrheiten, mögliche Sexual- und Lebenspartner. In der Politik besteht das Problem darin, dass es trotz unüberschaubar vieler Sachverhalte, die der Einzelne je verschieden bewertet, nur eine Handvoll Parteien gibt, also keine Partei mehr alle Standpunkte und Schwerpunkte eines

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