Das Ende der Liebe
einer in den Blick nehmen kann. Treppen und Galerien lassen von oben auf die Massen blicken, auf Leinwänden und Fernsehschirmen werden die Massen wiederholt und vervielfacht.
Clubs auf Ferieninseln, auf anderen Kontinenten inszenieren die unbegrenzten Möglichkeiten der Partnerwahl schon mittels ihrer Entfernung vom Wohnort, dadurch, dass Menschen aus vielen Ländern dort anzutreffen sind.
Das Festival hat diese Form der Weltversammlung vorweggenommen, ebenso die Ausdehnung des Ereignisses über die Nacht hinaus, auf mehrere Nächte und Tage, die in der Disko als after hour oder Drei-Tage-Party wiederkehrt. Der Tag wird zur Nacht, das Nachtleben zum Alltag . All das sagt: Du wirst unendlich viele Menschen sehen, sie kommen aus aller Welt, du hast unbegrenzt Zeit, um einen, mehrere zu kontaktieren.
Es ist folgerichtig, dass die Unendlichkeitsinszenierungen ihrerseits wiederum Gegenstand von Berichterstattung werden. Ereignisse und Orte, die von Anfang an als Bilder geschaffen wurden, werden als Bilder aufgenommen und vervielfältigt.
Fernsehen und Zeitungen bilden die schon fertigen, inszenierten Bilder aus den Großraumdiskos, von den tanzenden Massen, ein weiteres Mal ab, diesmal für Millionen von Betrachtern. Sie bilden die arrangierten Bilder aus den Clubs der Ferieninseln und auf fernen Kontinenten ein weiteres Mal ab. Sie schicken die Bilder der Massen aus aller Welt um die Welt .
Das Nachtleben berichtet über sich selbst. Betreiber von Clubs werben im Internet und in Veranstaltungsmagazinen [122] mit den Bildern der von ihnen erzeugten Massen. Einzelne Schöne werden in der Art der Prominentenberichterstattung abgebildet. Sie sind Symbole der Masse, der unbegrenzten Möglichkeiten.
Clubs, die Inszenierungen aus Prostitution und Pornografie übernehmen, die Gogotänzerinnen und -tänzer anstellen, die die Reizwäsche in der Kleiderordnung vorgeschrieben und den Sex (auf der Tanzfläche) zum Programm erhoben haben, zeigen nur wiederum als Bild , was gang und gäbe ist: die Beschleunigung von Sexualität und Partnerwahl bis zur Prostitution auf Gegenseitigkeit. Von den Orten, die die Verbildlichung am weitesten getrieben haben, werden in den Medien die meisten Bilder gezeigt.
Entscheidend ist jedoch nicht, wie viele Menschen alle Möglichkeiten des Nachtlebens realisieren. Entscheidend ist, dass das Nachtleben allen die Idee seiner Möglichkeiten implantiert.
Die Menschen müssen am Nachtleben überhaupt nicht teilhaben. Auch die, die es nicht tun, leben in der Welt des Nachtlebens . Sie haben das Nachtleben im Kopf. Sie kennen die Bilder. Sie wissen, was andere tun. Sie haben Fantasie.
Prostitution und Pornografie leben seit jeher von der Inszenierung unbegrenzter Möglichkeiten. Freier verlangen eine große Auswahl. Das Wählen ist noch bedeutsamer für die Prostitution als das »Kaufen« des Gewählten. Auch Pornografiekonsumenten sehen nicht einen Film immer wieder, sondern ständig neue Filme, sie wollen immerzu neue Körper sehen.
In der Prostitution folgt die Radikalisierung aus der Verbreitung des Großbordells (analog zur Großraumdisko), dem Sextourismus, der Verbilligung des Fliegens, der Globalisierung [123] und Fluktuation auf dem heimischen Markt sowie im Internet. Wie im gewöhnlichen Nachtleben werden die Möglichkeiten seit einiger Zeit durch Industrialisierung, Konzentration, Mobilität, Tourismus und das Internet gesteigert. Großbordelle wie allein arbeitende Prostituierte präsentieren ihr Angebot im Internet. Der Freier kann sich die Fotos von Prostituierten aus der ganzen Welt ansehen, darunter stehen die »Vorlieben« der Prostituierten und die »Testberichte« ihrer Freier. Auf anderen Seiten tauschen Freier ihre Erfahrungen aus, die sie auf dem weltweiten Prostitutionsmarkt gesammelt haben. Bilder und Berichte an sich sind zu einer neuen Realpornografie geworden. Der Rausch der unbegrenzten Möglichkeiten beginnt zu Hause am Computer.
Dasselbe gilt für die gewöhnliche Pornografie. Im Internet wird die Unendlichkeit, die bereits die Regale der Videotheken versprachen, auf ungekannte Weise Wirklichkeit. In einer Minute sehen die Menschen mehr Körper und mögliche Partner als ihre Vorfahren während eines ganzen Lebens.
Wie am Nachtleben müssen die Menschen an Prostitution und Pornografie nicht direkt teilhaben. Auch die, die nicht zu Prostituierten gehen, leben in der Welt der Prostitution . Auch die, die keine Pornografie konsumieren, leben in der Welt der Pornografie .
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