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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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Ekstase.
    In dem Augenblick aber, da die Sexualität der Menschen, ihre Fantasien, Erinnerungen und Vergleichsmöglichkeiten, [193] über jeden Anderen hinausgehen, ist die Grundlage jeder Beziehung die Sexenttäuschung. Der Ausgangspunkt jeder Beziehung ist das Ausbleiben der Ekstase. Die Menschen sagen: »Ich liebe den Anderen nicht. Denn der Sex mit ihm ist enttäuschend. Ich kann weder mit diesem sexuellen Du leben – noch mit diesem nicht-sexuellen Ich, das ich mit diesem Du habe.«
    Die freien Menschen brechen jeden Liebesversuch ab zugunsten eines – erneuten – Lebens mit Dritten . Sie müssen immerzu wählen: ob sie versuchen wollen, in einem Geliebten alles zu finden, den besten Freund, die größte Erregung – so sah es die Idee der romantischen Liebe vor; oder ob sie die Erregung und die Freundschaft außerhalb der Liebe suchen. Vielmehr, ob sie statt der Liebe Erregung und Freundschaft suchen, sie also Sexpartner und Freunde (und Freunde als Sexpartner) einem Geliebten vorziehen – der als Freund und Sexpartner doch eine permanente Enttäuschung ist, immerzu hinter allen Freundschafts- und Erregungserwartungen zurückbleibt, hinter den unendlichen Freundschaftsmöglichkeiten, unendlichen Erregungsmöglichkeiten.
    Die Menschen haben unterschiedliche Freunde, um möglichst viele Freundschaftsmöglichkeiten zu nutzen, und sie haben unterschiedliche Sexualpartner, um möglichst viele Sexmöglichkeiten zu nutzen. Sie wissen, dass nicht ein Freund alle Freundschaftsmöglichkeiten, ein Sexpartner alle Sexmöglichkeiten für sie realisieren kann. Dennoch hoffen sie in einem fort, in einem Geliebten alle Liebes-, Freundschafts- und Sexmöglichkeiten zu realisieren. Wenn sie enttäuscht werden (und sie müssen enttäuscht werden), können sie wieder ausweichen auf ihre Freundschafts- und Sexmöglichkeiten.
    Sie leben ihr Leben mit Dritten. Immer wenn sie enttäuscht sind von der romantischen Zweisamkeit, wenn sie [194] dort nicht die erwartete Freundschaft und die erwartete Erregung finden, sagen sie: »Ich kann auch wieder mit Dritten leben. Ich habe lange genug mit Dritten gelebt. Warum sollte ich diese Enttäuschungen hinnehmen, wenn ich doch genug Freunde habe, unendliche Sexmöglichkeiten. Tatsächlich hat mein Partner mir nicht nur meine Sexmöglichkeiten verbaut, sondern auch meine Freundschaftsmöglichkeiten. Allen meinen Freunden ist er mit seinem Argwohn und seinem Schweigen, mit offener Feindseligkeit begegnet. Er stand zwischen mir und meinen Freunden, wie er zwischen mir und meinen Sexmöglichkeiten stand. Es lohnt sich einfach nicht, nur für diesen Menschen sowohl auf meine Freundschaftsmöglichkeiten als auch auf meine Sexmöglichkeiten zu verzichten. Ich ziehe das Leben mit Dritten der Zweisamkeit vor.«
    Aus der Sexenttäuschung wird die Liebesenttäuschung. Doch die Menschen erwarten die Liebesenttäuschung bereits. Das ist ja ihre Erfahrung mit unendlich Vielen: dass sie sie nicht lieben, dieses »Ich liebe wieder nicht« – und, da die Menschen nicht einsam leben wollen, haben sie wenigstens – ausgerechnet – Sex mit denen, die sie, wie sie glauben, ohnehin nicht lieben werden. Sie suchen die Entschädigung für die erwartete Liebesenttäuschung ausgerechnet in dem, was die Liebesenttäuschung immer wieder auslöst.
    Natürlich ist die pausenlose Suche enttäuschend und zermürbend. Jede Sekunde ist eine Sekunde der Vergeblichkeit, des Nicht-Resultats, der verpassten Chancen. Aber die Menschen wissen einen Trost. In diesem Spiel – das ihnen selbstverständlich nicht als Spiel erscheint – gibt es einen garantierten Gewinn. Die Menschen nehmen den, der ihnen zum Leben als nicht ausreichend erscheint, mit nach Hause zum Sex. So müssen sie nicht allein sein. Sie können immer Sex haben . Und auch wenn sie allein sind, stellen sie sich den, mit [195] dem sie sich ein Leben nicht vorstellen können, beim Sex vor. Sie können sich immer selbst befriedigen .
    Die freien Menschen, die ihr Ideal – die Liebe – nicht mehr erreichen können, wollen ihm doch so nah wie möglich kommen: im Sex.
    Es fließt ein ständiger Strom aus der Liebessehnsucht, dem Schmerz, in die sexuelle Befriedigung. Jeder Tag beginnt mit einer Sehnsucht und endet mit sexueller Befriedigung. Die Menschen wachen sehnsüchtig auf und schlafen befriedigt ein.
    In der Sprache der Liebe wäre der Geliebte nun derjenige, der den Liebenden am meisten, am dauerhaftesten erregt. Im Zustand größter sexueller Erregung

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