Das Ende der Liebe
Einstellungen hat, die gleichen Erfahrungen, das gleiche Trauma; dass sie zugleich aber einen suchen, der ihr Gegenteil ist, ihnen hilft, ein Anderer zu werden – sich zu bilden, zu entwickeln, aufzusteigen in der Gesellschaft, in die Sphären der Reife und Erleuchtung, zum Endlich-Gesunden zu werden, zum Künstler, zum Star; dass die freien Menschen angesichts der Unendlichkeit möglicher Partner also glauben, dass sie einen finden könnten, der für sie gleichermaßen Spiegel und Herausforderung ist, Heimat und Tor zu Welt; dass sie sich unerträglich fremd fühlen mit einem, der anders ist als sie, und sich unerträglich vor dem Stillstand fürchten mit einem, der ihnen gleicht; dass sie sich nach Erfolg und zugleich nach Seelenruhe sehnen, sich also in entgegengesetzten Richtungen überschreiten wollen, in der gesellschaftlichen und der therapeutischen; in dem von Hans erzählt wird, der Klara hundert Matching-Punkte gibt; von Werther, der Lotte nicht gesucht, sondern entdeckt hat; und von Charles, der für seine Partnerin zu einem Ort der Verbannung geworden ist; in dem eine Theorie der Liebe entworfen wird, die davon ausgeht, dass es nicht die Frage ist, in wen, sondern wohin man sich verliebt
[202] Ein Mann hatte fünf Jahre lang im Internet nach einer Frau gesucht, ohne dass ihn auch nur eine aufgrund seines Profils kontaktierte. Alle Frauen, die er selbst kontaktiert hatte, hatten nach Ansicht seines Profils den Kontakt sofort eingestellt. Der Mann hatte nach eigenen Angaben den aus vierhundertzweiundsechzig Fragen bestehenden Fragebogen auf das Geflissentlichste beantwortet. Es musste den Frauen also möglich gewesen sein, sich ein detailliertes Bild zu machen, so der Mann, der nun, nach »dem deprimierenden Misserfolg«, anonym zu bleiben wünscht. Das Bild von ihm, so der Mann, sei auch mit Sicherheit ein vorteilhaftes gewesen, denn er »sehe gut aus«, sei »vielfach interessiert«, »offen« und »lebensfroh«. Im letzten Feld mit der Überschrift »Was ich suche« hatte der Mann geschrieben: »Suche jemanden, der anders ist als ich.« Nach Meinung von Experten ist es dieser Satz gewesen, der für den Misserfolg verantwortlich war.
Der Mann dieser Geschichte ist eine Ausnahme. Vielleicht sogar erfunden. Denn: Jeder freie Mensch sucht zwar etwas anderes – doch alle suchen das Gleiche: jemanden, der ihnen gleicht .
Es ist eine Ironie der Partnersuche in einer unendlich gewordenen Welt, dass die Menschen sich selbst suchen, sich selbst in Gestalt eines Anderen; dass die Welt den Menschen also vor allem die unendliche Annäherung an sich selbst verspricht. Menschen, die eine unendliche Freiheit zu suchen und zu wählen haben, suchen und wählen sich selbst. Mit der Steigerung der Möglichkeiten wächst nicht die Exotik der Ziele, sondern, im Gegenteil, es wachsen Wunsch und Wahrscheinlichkeit, das Gleiche zu finden.
Die Sehnsucht nach einem Wesen gleichen Geistes, gleicher Empfindung, entstand in der Romantik. Neu aber sind [203] die unendlichen Gleichheitsmöglichkeiten, die die Menschen wahrnehmen.
Und wenn es unendlich viele mögliche Partner gibt, muss es auch unendlich viele geben, die den Menschen gleichen; und jeder Gleiche muss übertroffen werden können von einem, der noch gleicher ist. So werden Gleichheitssehnsucht und Gleichheitsmöglichkeiten zur Gleichheitsnotwendigkeit.
Ein Internetdienst für Partnervermittlung wirbt mit einer Liebesgeschichte. Die Liebe wurde von einer Maschine angebahnt. Diese Maschine vergleicht die Suchenden miteinander und vergibt für Übereinstimmungen sogenannte Matching-Punkte .
Hans schreibt: »Klara hatte fast hundert Matching-Punkte. Und ein bezauberndes Lächeln! Was sie über sich selbst schrieb, traf meine Interessen und Empfindungen genau. Wir konnten sofort über Gemeinsamkeiten im Beruf und über gemeinsame Bekannte aus früheren Zeiten reden. Das schuf schnell eine vertraute Atmosphäre und förderte den Wunsch nach mehr.
Es folgte ein Telefonat, aber als wir uns das erste Mal trafen, war es trotzdem ein Abtasten und langsames Näherkommen. Lange Gespräche auf Spaziergängen und bei romantischen Abendessen in Restaurants brachten uns näher und zeigten, dass die abstrakten Matching-Punkte tatsächlich ein Spiegelbild unserer gleichen Interessen, Einstellungen und Wünsche waren.
Vielen Dank an das ganze Team und viel Glück allen noch Suchenden! Hans«
Die freien Menschen wissen Antwort auf viele Fragen, die sie selbst betreffen: Welche
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