Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
Vom Netzwerk:
Filme liebe ich? Welche Filme würde ich mir nie, auch nicht anderen zuliebe, ansehen? (Alle [204] anderen) Über welche Themen möchte ich sprechen? Was sind meine Lebensthemen? Über welche Themen zu sprechen, lehne ich ab, weil ich sie für vollkommen belanglos halte? (Alle anderen) Welchen Einrichtungsstil habe ich? Welche Stile finde ich unerträglich? (Alle anderen) Wo will ich leben? Wo dagegen nie? (Woanders) Was interessiert mich? Mit was will ich nicht in Berührung kommen, auch nicht anderen zuliebe? (Mit allem anderen) Was liegt zwischen meinen größten Leidenschaften und meinen tiefsten Abneigungen? (Nichts) Mit welchen Menschen, Berufsgruppen, Schichten, Nationalitäten möchte ich Umgang haben? Mit welchen auf keinen Fall? (Allen anderen) Welche Tiere mag ich? Welche Tiere finde ich ekelhaft und unerträglich? (Alle; alle anderen) Was für ein Typus bin ich (häuslich, Bohémien, Routinemensch, spontan)? Mit welchen Typen könnte ich nie leben? (Mit allen anderen)
    Die Menschen haben zunächst die unendliche Freiheit, sich selbst zu gleichen , also zu tun, was sie selbst wollen, und zu wählen, was sie selbst schätzen, was zu ihnen, wie sie sagen, passt. Bevor sie verlangen, dass ein Partner zu ihnen passe, verlangen sie, zu sich selbst zu passen, wollen sie sich selbst gleichen. Ihre Arbeit soll zu ihnen passen, ihr Wohnort und ihre Wohnung, ihre Kleidung, ihre Kunst und Musik.
    Nichts, was sie wollen, scheint unmöglich zu sein. Also fragen die Menschen sich in einem fort, was sie wollen. Sie bilden ein – immer umfangreicheres – Bewusstsein ihres Wollens. Sie sagen: »Ich will in Berlin leben. Ich will mich permanent über Literatur unterhalten und regelmäßig Segeln gehen und …«
    Ihr Selbstbild entsteht aus dem Bewusstsein ihres Wollens: »Ich bin, was ich will.« Und: »Ich bin, was ich nicht will.« Damit verkehrt sich das Wollen in Zwang. Denn die [205] Menschen können weder etwas tun noch etwas zulassen, was dem Bewusstsein ihres Wollens und Nichtwollens, also ihrem Selbst, zuwider läuft. Das Selbst als bewusste Wollensliste und Nichtwollensliste sperrt sich gegen jeden Widerspruch. Die Menschen, die »wissen, was sie wollen«, sind lebendig begraben in ihrem Selbst als Wollensbewusstsein.
    Die endlosen, absurd detaillierten Fragebögen zu Vorlieben und Abneigungen, die die Suchenden im Internet auszufüllen haben, sind also nur – naturgemäß übertriebene – Modelle der Wirklichkeit. Wie Kunstwerke übertreiben und verdichten sie die Wirklichkeit. Wenn die Internetdienste die Suchenden fragen, welche Raumtemperatur sie bevorzugten, um jene in der Datenbank zu finden, die die gleiche Temperatur bevorzugen, steht diese absurde Frage stellvertretend für alle Fragen, die die freien Menschen sich tatsächlich stellen. Die endlosen Fragebögen im Internet sind nur Wiederholungen der endlosen Fragebögen im Kopf der freien Menschen. Sie korrespondieren mit ihrer Wollenliste und Nichtwollensliste. Die Übertreibung der Internetdienste ist nur eine Wiederholung der Übertreibung der Wirklichkeit selbst.
    Woher kommen die unendlichen Gleichheitsmöglichkeiten? Sie ergeben sich bereits aus der Unendlichkeit möglicher Partner. Sie ergeben sich aber auch daraus, dass die freien Menschen bereits über ein vollständiges Leben verfügen oder verfügen sollen , das sich mit dem Leben eines Anderen vergleichen lässt. Früher wollten die Menschen sich erst zusammen mit einem Anderen ein Leben schaffen. Die freien Menschen dagegen leben lange allein, Jahre und Jahrzehnte, und schaffen sich zuerst selbst ein Leben, ein Allein-Leben.
    Dasselbe erwarten sie auch vom Anderen. Wenn sie einem Anderen begegnen, wollen sie nicht erst mit diesem etwas [206] schaffen, sondern erwarten, dass der Andere bereits alles für sich selbst geschaffen habe. Sie erwarten, dass er eine geschmackvoll eingerichtete Wohnung habe, einen großen eigenen Freundeskreis, eine berufliche Stellung, Erfolg und finanzielle Sicherheit, nicht zuletzt: ein bereits erfülltes und glückliches Leben.
    Sie erwarten, dass der Andere seine Freiheit bereits restlos genutzt habe. Sie besichtigen sein Leben und erwarten, dass es vollständig sei. Wenn noch etwas fehlt, bekommen sie es mit der Angst. Sie vertrauen nicht darauf, dass man gemeinsam etwas schaffen könne. Der Andere soll, wie sie sagen, selbständig sein, ein Freiheitsnutzer, nicht abhängig von ihnen. Die Liebe soll eine Verbindung zweier Vollständigkeiten sein.
    Während

Weitere Kostenlose Bücher