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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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nach.«
    »Über was?«
    »Mich selbst.«
    »Und was denkst du über dich selbst?«
    »Ich denke, dass meine frühen, kindlichen Erfahrungen und das gesellschaftliche System mich zu sehr beeinflussen. Ich habe zu viele Muster und Mechanismen und muss mich davon befreien. Ich muss mir endlich bewusst machen, was in mir selbst vorgeht. Ich will in Zukunft mein eigenes Gesetz sein.«
    [242] In der unendlichen Freiheit wächst das Bewusstsein der Menschen unendlich. Vor allem das Selbstbewusstsein, das Bewusstsein von sich selbst . Die Menschen beobachten pausenlos, was in ihnen selbst vorgeht, denn sie wollen ein freies Bewusstsein haben, eines, das von nichts mehr beeinflusst wird, weder von ihrem Unbewussten noch von der Welt, der Gesellschaft .
    Wenn die freien Menschen noch an die Existenz einer Gesellschaft glauben, so nur an eine Gesellschaft in ihrem Inneren , eine verinnerlichte Gesellschaft. Sie sagen: »Ich habe zuviel von der Gesellschaft verinnerlicht. Ich muss das wieder loswerden.« Für diese Gesellschaft in ihrem Inneren sind die Menschen also selbst verantwortlich.
    Die Menschen wollen ihr Bewusstsein befreien, indem sie es vergrößern. Sie wollen das falsche Bewusstsein mit noch mehr Bewusstsein überwinden, mit Verstehen, Analyse, Selbstaufklärung. Wüchsen die Köpfe der freien Menschen mit dem darin enthaltenen Bewusstsein mit, so glichen die Menschen bald Kürbissen, die Körper nur noch dünne, verdrehte Strünke, unfähig, die gigantischen Köpfe zu heben.
    Dieses hypertrophe Bewusstsein macht die Liebe unmöglich. Denn die freien Menschen wollen sich über den Anderen und über ihre Gefühle für den Anderen so schnell wie möglich klar werden .
    Es liege im Wesen der Liebe, heißt es, dass Menschen den, den sie liebten, immer wieder neu sähen, nie mit ihm fertig würden. Die freien Menschen aber wissen sofort, was für ein Mensch der Andere ist. Wenn es heißt, man solle sich vom Geliebten kein Bildnis machen, so sind sie Meister im Machen von Bildnissen. Wenn es heißt, der Geliebte solle eine Unendlichkeit sein, immer auch Geheimnis, so wissen sie genau, was ihn begrenzt, seine Kenntnisse und Fähigkeiten, seine [243] Möglichkeiten der Entwicklung, seinen Charakter. Sie werden mit jedem binnen kurzem fertig. Sie zeichnen den Anderen mit peinlich scharfem Umriss. Sie reißen ihm die Kleider herunter, die ihn verhüllt und geschmückt haben, und entblößen seine wahre Silhouette. Sie sagen: »Er ist neurotisch. Er hat Angst vor Nähe. Er leidet unter einer krankhaften Eifersucht. Er ist egozentrisch und konfliktscheu.«
    Das Problem ist nicht, dass sie den Anderen nicht verstehen, sondern dass sie ihn zu gut verstehen . Das Problem ist nicht, dass der Andere ihnen unerklärlich bliebe. Er ist ihnen nur allzu erklärlich. Sie schätzen ihn nicht falsch ein, sondern furchtbar richtig. Die Menschen erkennen sofort seine Muster, seine Mechanismen. Sie sind Meister im Schnelleinschätzen, geschulte Diagnostiker. In Kürze ist der Andere kein Wunder mehr, sondern ein Fall.
    Auch von sich selbst machen die Menschen sich ein Bildnis, auch sich selbst machen sie sofort zum Fall. Wenn die Liebe sie streift, wissen sie in Kürze, warum. Sie sagen: »Das ist nur eine Idealisierung.« Oder: »Das ist eine Abhängigkeit.« Die Menschen sind gewiss nicht glücklich, jedoch sehr erleichtert, wenn sie eine Liebe, die einen Moment lang auf ihrem Buckel saß, wieder abgeschüttelt haben. Ruhig laufen sie im Kreis und flüstern sich, wenn ihr Atem wieder gleichmäßig geht, selbst ins Ohr: »Der mich so wild gemacht hat, war tatsächlich nur eine Kompensation meiner Schwäche, eine Projektion meiner kindlichen Sehnsucht. Er war nur die Verkörperung meiner sexuellen Fantasien.« Sie sagen: »Wer liebt, ist kein Subjekt mehr, sondern ein ferngesteuerter Idiot.« Die Menschen sind froh, wieder sie selbst zu sein. Sie sind sie selbst nur in der Einsamkeit; wenn sie nicht lieben.
    Die Menschen machen aus schönen Seelen – ihrer eigenen und der des Anderen – problematische Psychen. Sie machen [244] aus dem Anderen einen Kranken, aus sich selbst einen Kranken und aus der Liebe, wieder , eine Krankheit. Als eine Krankheit galt die Liebe ja auch zu Beginn, als sie sich durchsetzen musste gegen die Vernunft und den Zwang; als der Wahnsinn der Liebe die einzige Entschuldigung der Liebenden war für ihr sittenwidriges Tun, für ihren Trotz gegen die Eltern und Inhaber der Macht.
    Die Liebe drang in Verkleidung des

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