Das Ende der Liebe
gewesen, eine Unterdrückung meines wahren Ich, ein Unterstützungs- und Entwicklungsterror. Es war eine Unterstützung nur um deinetwillen, nie eine Unterstützung um meinetwillen.« Die Menschen werden entweder vom Anderen enttäuscht oder angetrieben und gedemütigt.
[239] In Wahrheit ist ja bereits die Fantasie vom großen Tag eine tägliche Demütigung, ist diese Selbstbefriedigung eine Selbstvernichtung. Denn verglichen mit dem großen Tag sind alle tatsächlichen Tage nichts anderes als erbärmlich. Umso größer ist die Demütigung durch einen Anderen, dessen Tage alle große Tage sind, der den Menschen jeden Tag herüberwinkt aus deren eigener Zukunftsfantasie. »Ich bin schon da!«
Tatsächlich aber ist jeder Partner, der die Menschen durch seine Größe demütigt, zugleich auch eine Enttäuschung, denn das Ideal der Menschen ist unendlich und keiner, auch nicht der Umtriebigste und Glorreichste, besteht vor diesem Ideal. Allein darum sehen die freien Menschen auch in dem, der die größten Möglichkeiten verwirklicht, schon die Beschränkung, die Blockade. Sie sagen: »Er macht ja immer dasselbe. Er folgt auch nur einer Masche. Er ist nicht mehr so gut, wie er einmal gewesen ist.« Sie sagen: »Im Vergleich zu den wirklich Großen beeindruckt er mich nicht.« Noch im selben Moment, in dem die Menschen also von einem Anderen zutiefst beeindruckt sind, sind sie von ihm zutiefst enttäuscht.
Sie empfinden den Anderen entweder als erbärmlich (gleich) oder als bedrohlich (fremd oder herausfordend) oder aber als bedrohlich und erbärmlich . Die Menschen, die eine unendliche Auswahl möglicher Partner wahrnehmen, haben also nur die Wahl zwischen der Erbärmlichkeit oder der Bedrohung oder der Erbärmlichkeit und der Bedrohung.
[240] ACHT
WAS DIE MENSCHEN VON DER LIEBE DENKEN
Das achte Kapitel: in dem berichtet wird, dass die freien Menschen ein freies Bewusstsein haben und dass dieses Bewusstsein alles ablehnt, was die Menschen suchen und wählen; dass es alle Gefühle als Kopie und Klischee, als pornografisch und neurotisch kritisiert; dass die Menschen zwar einen Partner lieben wollen, aber die Liebe nicht mehr lieben, weil sie ihnen künstlich und dumm erscheint; dass das freie Bewusstsein die Liebe als eine Krankheit begreift, aber nicht krank sein will, sondern endlich gesund; dass es nicht fremdbestimmt sein will, weder durch die Medien und die Unterhaltungsindustrie noch durch das eigene Unbewusste, dessen Grund die Menschen sich übersät denken mit Medienschrott und Industrieschrott wie das Meer nach einer Schlacht; dass Liebe und Sex den Menschen zu Wiederholungen werden und dass die Menschen sich vor ihren Wiederholungen ekeln; dass sie, wenn sie der Hydra leibhaftig begegneten, sagen würden: »Das ist ja nur eine Projektion, das Ideal meiner kranken Seele, einer kranken Gesellschaft«; dass sie also einen Partner suchen, der allem entspricht, was sie wollen, und zugleich allem nicht entspricht, dessen Gegenteil ist; dass die unendliche Freiheit also darin besteht, dass die freien Menschen alles, was sie wollen, zugleich nicht wollen, kritisieren und ablehnen; dass die freien Menschen frei sein wollen von ihrem Wollen, frei sein wollen von der Liebe
[241] Man stelle sich vor!
Die Menschen leben in einer Stadt, wo an allen Wänden Spiegel hängen. Nicht nur in den Aufzügen und über den Waschbecken der öffentlichen Toiletten, überall. Sogar Böden und Decken sind verspiegelt. Auch draußen, auf der Straße, sehen die Menschen immerzu in Spiegel, die Mauern der Häuser, das Pflaster der Bürgersteige und sogar die Schaufenster werfen jeden Blick zurück. Es gibt keinen Ort, wo die Menschen nicht permanent sich selbst sehen und auch die anderen Menschen immer zweifach, zigfach. In der Luft ist ein nicht endendes Sirenengeheul. Es kommt von allen Seiten, als ob sämtliche Sirenen der Stadt, Ambulanz- und Polizeisirenen, Feuersirenen und Luftschutzsirenen zugleich ertönen. So ist es unausweichlich, dass die Stadtbewohner Spiegelbilder und Alarmsignale miteinander verbinden, obwohl – oder weil – ihnen tatsächlich seit langem weder das Eine noch das Andere mehr auffällt. Stünden sie plötzlich im Wald und würde ihr Blick von nichts mehr zurückgeworfen, sondern zwischen Stämmen, Zweigen und Laub verschwinden, es wäre ein Schock. Es würde den Menschen scheinen, als verlören sie unversehens das Bewusstsein und träumten nun einen seltsamen, unbegreiflichen Traum.
»Ich denke
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