Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
wären, wie sagt man, anpassungsfähiger und könnten ihre Fähigkeiten anderweitig einsetzen.« Die Frauen aus der Textilfabrik fanden Arbeit bei den örtlichen Ärzten oder Rechtsanwälten oder im Einzelhandel, oder sie schulten um und wurden Krankenschwestern oder Lehrerinnen. Das ging Charles eines Tages auf, als er beim Arbeitsamt im nahe gelegenen Opelika anrief, um zu fragen, wie lange er seine Leistungen noch bekommen würde. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang vertraut, und nach ein paar Minuten stellte sich heraus, dass er mit seiner ehemaligen Sekretärin telefonierte. Sie stellte ihn an ihre Vorgesetzte durch, und wie sich zeigte, hatte auch sie einmal für ihn gearbeitet. »Ich bin aus dem Süden, hier kümmern sich die Männer um die Frauen«, sagte er. »Und plötzlich sind wir Männer auf die Frauen angewiesen. Plötzlich haben die Frauen die Macht.«
Ich war im Frühjahr 2011 nach Alabama gekommen, kurz nachdem verheerende Tornados im Bundesstaat gewütet hatten. Sie hatten Alexander City größtenteils verschont, dennoch wirkte die Stadt traumatisiert, als ob eine andere Art von Tornado die Stadt getroffen und tiefsitzende Wurzeln herausgerissen hätte. Als ob die Menschen nicht mehr wüssten, wie sie alles wieder aufbauen oder weitermachen sollten. Überall in der Stadt lernte ich Paare wie Charles und Sarah Beth Gettys kennen, wo der Mann in seiner alten Position verharrte und die Frau sich weiterentwickelte, auch wenn sich niemand die neue Realität eingestehen wollte. »Wie sagt man? Den Schein wahren«, meinte Rob Pridgen, ein junger Freund der Gettys. »Die Frauen verdienen mehr Geld und zahlen die Rechnungen, aber der Südstaatenmann muss so tun, als ob er derjenige wäre, der alles zusammenhält.«
Rob verlor seine Arbeit, einen Monat nachdem er Connie kennengelernt hatte, und hielt deshalb ein Jahr lang nicht um ihre Hand an. Sie waren beide Anfang vierzig und jeweils schon einmal verheiratet gewesen, und Rob wusste sofort, dass er sie heiraten wollte, aber ohne Job brachte er es nicht über sich, sie zu fragen. Connie war Lehrerin und hatte ein gesichertes Einkommen, während sich Rob mühsam von einer Woche auf die andere mit Computerreparaturen für einen Freund über Wasser hielt. Allmählich wurde die Situation peinlich, weil sie nicht wussten, wie sie den anderen bezeichnen oder was sie den Mitgliedern ihrer Kirche sagen sollten.
»Er ist total der Typ, der sagt: ›Ich sorge für die Familie. Ich bin der Mann im Haus‹«, erklärt Connie.
»Du sagst das so, als ob ich ein Diktator wäre. Das heißt ja nicht, dass du mit der Schürze in der Küche stehen musst. Aber ich wurde nun einmal so erzogen, dass der Mann die Familie ernährt«, sagt er und wendet sich an mich: »Ich will jetzt nicht mit dem Königinnen-Vergleich daherkommen, aber ich habe nun mal die Aufgabe, meine Frau wie eine Königin zu behandeln.«
»Schatz, du weißt doch, dass ich trotzdem unterrichten würde.«
»Ja, aber du müsstest nicht. Darum geht es doch.«
»Das macht ihm sehr zu schaffen«, sagt Connie zu mir.
»Ich habe das einfach verinnerlicht. Wenn ich nicht für sie sorgen kann, bin ich kein richtiger Mann.«
An der Stelle meldet sich Connies 18-jährige Tochter Abby mit dem Standpunkt ihrer Generation zu Wort. Angesichts des Verhaltens der Jungs bei ihr auf der Highschool klingt dieser Südstaatenverhaltenskodex des ritterlichen Mannes für sie so altmodisch, als ob er aus der Shakespeare-Zeit stammen würde.
»Das ist ja total süß«, sagt sie zu Rob, »und absolut krass.«
Seit dem Jahr 2000 gingen im produzierenden Gewerbe der USA fast 6 Millionen Arbeitsplätze verloren, was über ein Drittel der Gesamtzahl der dort Beschäftigten ausmacht. Nur wenige junge Arbeiter wurden eingestellt. Eine Zeitlang wurde dieser Umstand von der Immobilienblase verdeckt, weil auf dem Bau und in verwandten Branchen viele neue Arbeitsplätze entstanden. Doch dann platzte die Blase. In der gleichen Zeit entstanden in den Bereichen Gesundheitsfürsorge und Erziehung ähnlich viele Arbeitsplätze wie im Baugewerbe, aber in diesen Branchen dominieren Frauen, während sich die Männer mehr als je zuvor auf die Bereiche konzentrieren, wo die Jobs verloren gehen – im Bau, Transportwesen und der Versorgungswirtschaft.
In den vergangenen zehn Jahren wurde im Osten Alabamas eine Fabrik nach der anderen geschlossen – egal ob dort Socken, Autoreifen oder Zellstoff produziert oder Geflügel verarbeitet
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