Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
betrachtet wäre die Bezeichnung »typischer Frauenberuf« ein Hemmschuh für jedes angesehene Gewerbe. Früher sanken in einem solchen Fall die Gehälter, Männer wollten den Beruf nicht mehr ausüben, und jegliches Prestige ging verloren. Beispiele dafür sind Berufe wie Sekretär oder Lehrer. Die Historikerin Alice Kessler-Harris von der Columbia University, die sich vorwiegend mit der Geschichte der Arbeit befasst, bezeichnet diesen Zusammenhang als das »Schreibmaschinen-Paradox«: Frauen beherrschen eine Maschine oder verschiedene Fähigkeiten, die ihnen neue Tätigkeitsfelder eröffnen, und sofort wird diese Tätigkeit abgewertet. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Goldin aus Harvard verwendet einen anderen Begriff für das Vordringen der Frauen in einen Beruf: »Pollution«, also »Verschmutzung«. Wenn Frauen in einen Beruf drängen, hat das ähnliche Auswirkungen wie saurer Regen oder die schleichende Vergiftung durch Atommüll. Männer fürchteten dieses Vordringen, und wenn sie es beobachteten, taten sie alles, um sich dagegen abzuschirmen. Wenn das nicht gelang, setzten sie sich ihre Gasmasken auf und flohen in ein anderes Büro. Als 1937 die ersten Bilder von Frauen in Laborkitteln in den Pharmaziezeitschriften auftauchten, schrieb der Herausgeber des American Journal of Pharmaceutical Education einen satirischen Kommentar über Präsident Roosevelts Förderung der Berufstätigkeit bei Frauen und forderte ein »Komitee zur Untersuchung der Bedrohung der Pharmazie durch Frauen«.
Doch heutzutage zeigt sich ein ganz anderes Bild. Die Pharmazie als ein Gewerbe, das im Dienste der Medizin steht, war schon immer auf ihr Ansehen bedacht. Daher achtet man sehr darauf, anderen einen Schritt voraus zu sein. Angesichts der Umstrukturierung der Wirtschaft tat man alles, um nicht durch tablettenverteilende Automaten oder Fabrikarbeiter in Indien ersetzt zu werden. Apotheker begannen, sich »Gesundheitsexperten« zu nennen, die sich an »vorderster Front« für das Wohlergehen der Patienten einsetzen. In den USA wurde für Apotheker ein sechsjähriges Pharmaziestudium Pflicht, zu dessen Inhalten auch die Patientenberatung und die Erstellung komplizierter Medikamentenpläne gehört. Hannah und ihre Kommilitonen belegen außerdem ein Seminar für »Kommunikation«, wo sie lernen, Empathie zu zeigen und auch störrische Patienten zu erreichen. »Unsere sozialen Kompetenzen werden bewertet«, erklärt Hannah zur anstehenden Assistenzzeit, »aber auch das Wissen über Medikamente ist wichtig.«
Die Apotheker haben die Entwicklung rechtzeitig erkannt und sich für die richtige Seite entschieden. Sie haben sich von der Handarbeit größtenteils verabschiedet und konzentrieren sich nun auf die eher weiblich ausgerichtete Dienstleistungs- und Informationsbranche, wo höhere Qualifikationen nötig sind und die Technik die Möglichkeit bietet, sich mehr auf den Kunden zu konzentrieren. Die Pharmazie hat sich an das Erfolgsrezept der modernen Wirtschaft gehalten. Und in diesem Rezept sind die vielen Frauen kein Hemmschuh mehr, sondern der Garant für eine strahlende, bessere Zukunft.
In der Pharmazie – als Frauendomäne – verdient man heute im Durchschnitt 110 000 Dollar im Jahr. Das verspricht eine sichere Zukunft und ein ausgeglichenes Leben. Bei den Berufen zählt Apotheker zusammen mit Statistiker, Buchhalter und Anwaltsgehilfe zu den »besseren« Jobs – alle gelten als sauber, sicher und zukunftsträchtig, und in allen sind Frauen auf dem Vormarsch. Am anderen Ende der Skala stehen Dachdecker, Schweißer, Holzfäller, Blechner und Hafenarbeiter – Berufe, in denen Männer dominieren. Die Entwicklung vollzieht sich vielleicht langsam und ungleichmäßig, doch sie findet definitiv statt: Langfristig betrachtet werden die Regeln in der modernen Wirtschaft von Frauen diktiert werden, und die Männer müssen sich bemühen, Schritt zu halten.
Hannah und ihre Kommilitoninnen studieren heute aus dem gleichen Grund Pharmazie, aus dem die Mädchen in den 1920er und 1930er Jahren Sekretärinnen wurden: Sie wollen einen angesehenen Beruf, wo sie sich nicht die Hände schmutzig machen müssen. Sie wollen finanziell unabhängig sein und ein besseres Leben führen als ihre Mütter. An der University of Wisconsin sind 35 Prozent der Studenten die Ersten in ihrer Familie, die einen Hochschulabschluss haben. Doch anders als die frischgebackenen Sekretärinnen früher werden sie nach ihrem Abschluss nicht gleich enttäuscht.
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