Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
umgekehrt. Der Anteil der wegen Gewaltverbrechen verhafteten Frauen stieg von 11 Prozent im Jahr 1990 auf 18 Prozent in 2008. Der Anteil der Frauen, die wegen Eigentumsdelikten verhaftet wurden, stieg im selben Zeitraum von 25 auf 35 Prozent. Bei den weiblichen Jugendlichen war die Steigerung bemerkenswert: Zwischen 1992 und 2003 stiegen laut FBI die Festnahmen wegen Tätlichkeiten bei weiblichen Jugendlichen um erstaunliche 40,9 Prozent, während sie bei männlichen Jugendlichen nur um 4,3 Prozent zunahmen. Die Frauen holten die Männer damit noch lange nicht ein, doch der Abstand verringerte sich rapide. Im Jahr 1980 wurden dreimal mehr Männer als Frauen wegen einfacher Körperverletzung festgenommen, und bis 2008 war die männliche Rate weniger als doppelt so groß wie die weibliche.
Die Zahl der Festnahmen vermehrte sich bei Frauen aller Altersstufen. Eine seltsame statistische Besonderheit war der Anstieg bei den Frauen über vierzig. In dieser Altersgruppe war die Zahl der Festnahmen wegen Gewaltverbrechen seit den 1980er Jahren um 307 Prozent, wegen Eigentumsdelikten um 114 Prozent und wegen Drogendelikten um 1040 Prozent gestiegen. Typisch wäre eigentlich, dass jüngere Frauen mehr Gewaltverbrechen begehen als Frauen, die deren Mütter sein könnten. Doch in der letzten Kohorte hatte sich diese Tendenz umgekehrt: Es wurden mehr Frauen mittleren Alters wegen Gewaltverbrechen und Drogendelikten verhaftet als Frauen unter achtzehn.
Das Ergebnis war wohl oder übel, dass in den USA viel mehr Frauen als je zuvor strafrechtlich verfolgt wurden. Von 1985 bis 2002 stieg die Zahl der Gerichtsverfahren gegen weibliche Jugendliche um 92 Prozent, während die gegen männliche Jugendliche nur um 29 Prozent zunahm. Etwa im selben Zeitraum nahm die Inhaftierung weiblicher Jugendlicher um 98 Prozent zu, während sie bei männlichen Jugendlichen nur um 23 Prozent stieg. Das Strafrechtssystem und insbesondere die Jugendgerichte, die junge Frauen lange mit einer gewissen Milde und einem gewissen patriarchalischen Beschützerinstinkt behandelt hatten, ließen den Frauen nun eine Art »rachsüchtige Gleichbehandlung« angedeihen, wie es Kriminologen formulierten. Die Gerichte sahen bei den weiblichen Jugendlichen nun fast das gleiche Destruktivpotenzial wie bei den männlichen.
Unter Kriminologen ist es bis heute umstritten, ob die jungen Frauen tatsächlich gewalttätiger geworden sind oder ob sie in unserer Kultur nur so behandelt werden. Die Frage ist nicht zu klären und in gewisser Hinsicht unwichtig. Wie Kriminologen gerne sagen, kann Gewalt als selbsterfüllende Prophezeiung betrachtet werden. Je mehr die jungen Frauen von den Behörden als gewalttätig betrachtet werden, umso stärker sehen sie sich selbst so. Auf diese Weise wird der Kreislauf der Gewalt in Gang gehalten. Die Kriminologin Melissa Sickmund bezeichnet den Wandel in den letzten zwei Jahrzehnten »als subtile Verlagerung in der Wahrnehmung der Norm. Was die Polizei tut und was die Leute in der Zeitung lesen oder im Fernsehen sehen, verändert die Erwartungen, die wir in Bezug auf das Verhalten von jungen Frauen haben. Und die Frauen erfüllen diese Erwartungen« (eben auch in negativer Hinsicht).
Mit dem Verbrechen erobern die Frauen ein neues Terrain, und zwar insbesondere in dem Bereich des Verbrechens, der die Öffentlichkeit am meisten beschäftigt. In der Vergangenheit waren die Verbrechen von Frauen in der Regel eine Familienangelegenheit, zum Beispiel wurde der Ehemann erstochen oder ein Baby getötet. Häufig hatten sie einen Hintergrund, der Mitgefühl mit der Frau weckte und feministisch interpretiert werden konnte: eine geschlagene Ehefrau, die den Täter angreift (Lorena Bobbitt), eine Frau mit einer postpartalen Psychose (Andrea Yates).
Doch der vielleicht berüchtigtste weibliche Mörder in den letzten paar Jahren war die Neurowissenschaftlerin Amy Bishop, die an der University of Alabama in Huntsville auf sechs ihrer Kollegen schoss und drei von ihnen tötete. Sie entsprach keinem der Archetypen des weiblichen Mörders. Vielmehr entsprach sie, ganz ähnlich wie Larissa Schuster, einem vertrauten männlichen Archetyp: dem gestörten Einzelgänger, der ein grundloses, aber vorsätzliches Verbrechen begeht. Auch folgte sie, ebenfalls ähnlich wie Schuster, einer verqueren Binnenlogik, nach der die Anwendung von Gewalt zum Schutz der eigenen Karriere legitim war. Jede Ära hat die Kriminellen, die sie verdient. Die 1930er hatten den
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