Das Ende der Nacht: Horror-Roman
fing sie an, zu weinen. Ein Weinen, das so tief war wie der Hass und die Mordlust, die sie zuvor empfunden hatte. Sie hörte einen Schlag neben sich, dann noch einen und noch einen. Schließlich umarmte sie jemand. Michelle schluchzte und spuckte die Zahnteile neben sich. Als sie ihre Augen öffnete, schaute sie in das Gesicht ihrer besten Freundin. Ein paar Minuten verharrten sie so auf dem Boden.
„Ich dachte, du wärst tot“, flüstere Michelle dann.
„Die Wunde ist nicht so tief.“
„Oh mein Gott.“
„Ist schon gut“, sagte Christina schließlich, „kannst du aufstehen?“
„Ich versuche es“, stöhnte Michelle und kam von ihrer Freundin gestützt auf die Beine.
„Was ist mit Steven?“, fragte sie, während die meisten Schmerzen verblassten. Aber Christina antwortete nicht und starrte sie nur an.
„Das sieht übel aus, aber das kriegen wir schon hin. Die Wichser sind beide tot.“
Michelle blickte flüchtig auf Maik, in dessen Kopf das Beil steckte. Christina hatte mehrmals zugeschlagen, bis es stecken geblieben war und sein Gesicht war von triefenden, roten Wunden zerfurcht.
Gemeinsam schritten sie langsam zum Badezimmer.
„Was ist bloß in sie gefahren?“ fragte Christina.
„Ich habe keine Ahnung.“
„Ich liebe dich. Weißt du das eigentlich, Michelle?“
„Ich dich auch, Kleine.“
Sie hatten das Badezimmer erreicht. Michelle setzte sich auf den geschlossenen Klodeckel und Christina öffnete den Medizinschrank. Sie verbanden sich gegenseitig. Michelle klebte vorsichtig ein Wundpflaster an Christinas Rücken. Steven hatte in die rechte Seite gestochen. Zum Glück nicht zu tief. Das Blut war schon geronnen. Danach tupfte Christina Michelle das Gesicht ab.
Als Michelle sich im Spiegel betrachtete, erkannte sie sich nicht mehr. Das Haar war zerzaust, um das rechte Auge lag ein dunkelblauer Schatten und die rechte Wange leuchtete in einem Rosarot. Als Christina sich neben sie stellte und sie sich gegenseitig im Spiegel ansahen, mussten sie lächeln.
„Das wird schon“, sagte Christina.
Sie gingen zurück ins Wohnzimmer. Steven lag auf der Couch, Splitter der Glasschlüssel ragten aus seinem Gesicht. Die Beilwunde blutete noch.
„Der sieht jetzt so aus, wie es sich gehört!“
„Verdammt, beide sehen jetzt so aus“, pflichtete Michelle ihr bei, „mit diesen Wichsern habe ich kein Mitleid. Ich muss sagen, du hast ganze Arbeit geleistet.“
„Hat Spaß gemacht.“
„Das glaube ich dir auf's Wort, Schwester.“
„Sie waren potentielle Mörder. Wie in Scream .“
„Was?“
„In Scream waren die Freunde von den Mädchen auch die Mörder.“
„Das hier ist aber das wahre Leben.“
„Ja, aber die Parallele ist doch unübersehbar, oder nicht?“
Michelle nickte. Ja, die Parallele zu einem Horrorfilm war unübersehbar. Und warum gefiel ihr das so? Oder gefiel es dem Etwas in ihr, dessen Mordlust nicht befriedigt werden konnte, weil Christina ihr zuvor gekommen war? Du hast gezögert, Michelle, du hättest den beiden Wichsern das Beil solange in die Schädel rammen sollen, bis das Gehirn heraus platzt. Dann beim nächsten Mal, nicht wahr? Du weißt doch, dass es ein nächstes Mal geben wird.
„Ist schon komisch“, sagte Michelle schließlich, während sie sich eine Zigarette anzündete und die Wunden in Stevens Gesicht betrachtete, „wir haben hier zwei Leichen, mit denen wir fickten. Na ja, bevor sie starben, meine ich.“
„Was sollen wir mit ihnen machen? Wir müssen die ganze Wohnung reinigen, bevor meine Eltern wiederkommen.“
Erst jetzt wurde Michelle sich der ganzen Situation bewusst. Sie blickte sich im Wohnzimmer um. Das Blut aus Stevens Kopf war auf das Sofa geflossen, wo es eine Pfütze gebildet hatte, aus der regelmäßig Blut auf den Boden tropfte und den Teppich beschmutzte. Der Tisch war umgekippt und der Bildschirm des Fernsehers eingeschlagen. Überall lagen die von Steven umgeschmissenen Bierdosen herum. Aus einigen leckten die letzten Tropfen. Popcorn zierte das Bild wie Schneeflocken.
Die beiden Mädchen gingen ohne etwas zu sagen in den Flur. Auf dem Weg dorthin eine dünne Blutspur über Teppich, die weiter über Kacheln verlief. Das Blut aus Stevens Schulterwunde. Vor der geöffneten Küchentür lag Maik auf dem Bauch, das Beil im Kopf. Teile seines Gehirns waren heraus gequollen, das Weiß der Schädelplatte war aufgeplatzt und rund um ihn war noch mehr Blut.
„Scheiße,“ sagte Christina laut, „das sieht so verdammt nach
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