Das Ende der Nacht: Horror-Roman
Xaver nicht ausfindig machen. Entweder hatte man ihn schon aufs Revier gebracht, um ihn eindringlich zu befragen, oder er saß in einem Polizeiwagen, den Xaver aus seiner jetzigen Position nicht sehen konnte.
Wolfgang, der befreundete Polizist und ein alter Schulkollege, war schon auf Xaver aufmerksam geworden und näherte sich ihm mit ausgestreckter Hand zur Begrüßung.
„Mensch, Xaver, was machst Du denn hier? Ist doch gar nicht deine Aufgabe, Unfälle zu observieren!“
Xaver schüttelte die Hand und nickte.
„Ich weiß, nur ich habe dich aus meinem Wagen gesehen. Ich dachte, ich mache mal endlich wieder ein Treffen mit dir ab. Ich erreiche dich einfach nicht. Nicht über's Telefon und deine E-Mail-Adresse kenne ich nicht.“
Wolfgang führte Xaver zu seinem Einsatzwagen hinter die der Sanitäter. Ein Mann mit zusammengewachsenen Augenbrauen und grimmigem Blick saß auf der Rückbank und grummelte vor sich hin. Ein Pflaster klebte an seiner Stirn und seine Lippe war geschwollen. Das Fenster stand offen, so dass die beiden ein „Scheiß Fotze... ich bringe dich noch um...“ hören konnten. Der Mann verstummte, als er sie erblickte, und versuchte unbekümmert zu blicken, schuldlos.
„Was ist hier eigentlich passiert?“, fragte Xaver, „ist das der Fahrer des Unfallwagens?“
„Ja. Sein Name ist Lars Pendler. Wir haben keine Ahnung, warum er es tat, aber alle glauben, er wollte das Pärchen im BMW zerquetschen. Aus Eifersucht, weißt du? Das Mädchen auf dem Beifahrersitz ist seine Ex-Freundin.“
Xaver schüttelte den Kopf. Warum können die Leute keine einfachen Gefühle ertragen? Ist doch lächerlich.
Wolfgang öffnete die Beifahrertür; der Täter rührte sich nicht, starrte nur aus dem Fenster; und nahm seine Diensttasche vom Sitz. Aus ihr holte er eine Visitenkarte und seinen Terminplaner, dann wendete er sich wieder Xaver zu.
„Ich glaube, ich kann nächstes Wochenende frei machen. Was hältst du von einem netten Samstag Abend mit Maria, Sophie, dir und mir in unserer neuen Wohnung. Die muss ich dir zeigen.“
Xaver erinnerte sich an seine Frau und das Baby. Der Unfall hatte ihn zunehmend abgelenkt. Beamten-Neugier. Sie brachte ihn zwar zur Beförderung, aber entfernte ihn wieder und wieder von seiner Familie. Das wird sich ändern, dachte er, der Junge ist da.
„Ja, lass uns treffen, aber bei uns zu Hause. Maria wird mit dem Kleinen kaum weggehen wollen. Sie hat heute unser erstes Kind geboren.“
„Glückwunsch, Xaver, das hast du mir ja noch gar nicht gesagt.“
Wolfgang klopfte ihm auf den Rücken, zögerte kurz und umarmte ihn dann. Er fand wohl, das gehörte sich unter alten Freunden.
„Danke, danke.“
Xaver lächelte und ihm wurde zum ersten Mal bewusst, wie gut es sich anfühlte, einen Nachkommen gezeugt zu haben. Als er die Nachricht vorhin erhalten hatte, war es nur eine längst überfällige Information gewesen. Aber jetzt? Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. Das Wunder Mensch würde er gleich mit eigenen Augen zu sehen bekommen. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Jetzt war er aufgeregt, nervös, konnte es kaum erwarten, den Kleinen im Arm zu halten.
„Okay“, sagte er schließlich, „Wolfgang, nächsten Samstag bei uns, okay? Sagen wir um neunzehn Uhr?“
Wolfgang nickte und notierte sich den Termin in seinem Kalender.
„Ich fahre jetzt weiter. Hat mich gefreut, dich mal wieder zu sehen.“
„Mich auch.“ Ein letzter Händedruck und schon verschwand Xaver hinter die Absperrung und in seinen Honda. Den letzten Kilometer verbrachte er ohne Musik und er stellte sich vor, wie sein Baby aussehen mochte.
Im Krankenhaus ließ ihn seine Aufregung fast in ein Bett laufen, das von zwei Pflegern den Gang entlang gefahren wurde. Von einer Schwester ließ Xaver sich Auskunft geben, in welchem Zimmer seine Frau lag. Auf dem Weg zum Fahrstuhl bemühte er sich, nicht zu rennen. Die Fahrt in der Kabine war die längste Minute seines Lebens. Hier entzog sich das Tempo seiner Kontrolle und es kam ihm vor, als würde es länger dauern als die Herfahrt aus Bönningstedt. Und genau so langsam öffneten sich die Türen des Fahrstuhls, bis er endlich auf dem richtigen Gang war.
Die Tür des Krankenzimmers, in dem sich seine Frau befinden musste, stand offen. Ein Gespräch wurde gerade geführt. Ansonsten war es ruhig hier, was wohl an der Tageszeit lag. Ein Blick auf die Uhr verriet Xaver, dass es schon beinahe halb zwölf war. Keine zehn Meter trennten ihn vom Zimmer und
Weitere Kostenlose Bücher