Das Ende der Nacht: Horror-Roman
Abstumpfen des Moralempfindens."
Kathleen hatte sich einen Stadtplan aus der Seite der Tür gegriffen und sich auf den Schoß gelegt. Sie zündete den kleinen Würfel an und bröselte das warm gewordene Ende auf den Plan.
"Unsere Freunde wollten uns heute töten."
Michelle war noch immer erschrocken über ihre Nüchternheit. Kathleen hatte ihr gerade das große Geheimnis offenbart und es bedeutete ihr nicht mehr als eine Folge einer Soap Opera.
"Und das hätten sie sonst nie getan, oder?"
Kathleen bröselte noch zweimal, dann steckte sie die Schachtel wieder in die Hosentasche.
"Ja. Also bewirken diese Schatten und Tore das auch auf Entfernung?"
"Wieso Entfernung? Wer weiß, wie viele Tore sich in Hamburg befinden. Mindestens zwei Dutzend würde ich schätzen." Michelle ergriff ein leichter Schauer. "Hast du mal eine Zigarette?"
Michelle holte eine aus ihrer Schachtel und gab sie ihrer Mitschülerin, die gleich darauf den Tabak der Zigarette auf dem Gebröselten verteilte. Dann riss sie eine Ecke des Schachteldeckels ab und rollte ihn zusammen.
"Woher weißt du das alles, Kathleen? Das kannst du dir unmöglich einfach so zusammen gereimt haben."
"Erkläre ich dir alles später. Du willst doch wissen, wo die Leute sind?"
"Sicher."
"Dann frage mich später. Jetzt würden dir meine Antworten nicht helfen."
Kathleen hatte nun fertig gedreht. Sie bat Michelle um ein Feuerzeug und zündete den Joint an. Nach zwei Zügen gab sie ihn an Michelle weiter.
"Ich weiß nicht, ob ich dann noch fahren kann."
"Sonst lässt du mich fahren."
Michelle zog vier Mal und gab den Joint wieder zurück.
"Was ist mit Kevin? Muss der etwa auch kiffen?"
"Besser wär's", gab Kathleen zurück, "aber solange er schläft, kann ihm nichts passieren."
Sie rauchten den Joint zu Ende. Die Wirkung verfehlte ihr Ziel nicht. Michelle bat Kathleen zu fahren und kicherte bei ihrer Erklärung, dass sie sich nicht auf die Straße konzentrieren konnte. Es war erst der dritte Joint in ihrem Leben gewesen und sie fühlte sich gleichzeitig so schwerelos wie matt. Während Kathleen routiniert das Bekifft-sein mit dem Fahren kombinierte, schweifte Michelle in ihren Gedanken ab.
VI
Michelle träumte von Wölfen, die durch Steinschluchten liefen, um einen wilden Hasen zu fangen, als Kathleen ruckartig bremste. Michelle wusste gar nicht mehr, dass sie eingeschlafen war und benommen und träge öffnete sie ihre Augen.
"Hier ist es!" sagte Kathleen.
„Hier ist was?“
„Mensch, was ich dir zeigen will“, sagte ihre Mitschülerin und stieg aus, ohne dass Michelle noch etwas sagen konnte. Sie versuchte mit Strecken und Gähnen nüchterner zu werden, aber ihr Kopf fühlte sich immer noch an wie in Watte gepackt. Mit einem leichten Schwindelgefühl stieg sie ebenfalls aus. Ein kurzer Blick zur Rückbank zeigte, dass Kevin noch schlief und sie fragte sich, ob es so gesund für ihn war. Er drehte sich unruhig hin und her, aber seine Augen blieben geschlossen. Sie entschied, ihn aufzuwecken, sobald sie zurückkamen. Von wo auch immer Kathleen sie hinführen wollte.
"Wir müssen da rauf", sagte sie und zeigte auf einen steilen Abhang direkt neben der Fahrbahn.
"Okay." Michelle gähnte wieder. Dann sprang sie mehrmals auf der Stelle, um ihren Kreislauf anzuregen. Es funktionierte. Beide hatten ihre Mühe, nicht auszurutschen, als sie den Abhang schließlich bestiegen. Büsche und Bäume waren ihnen ständig im Weg, allerdings konnten sie sich daran auch festhalten und weiter nach oben ziehen.
An der Spitze angelangt, gab Kathleen sofort ein Zeichen zum Hinhocken. Die nasse Erde war klebrig und stank, aber Michelle folgte der Anweisung als war sie ein Soldat. Jawohl, Sir, dachte sie und musste kichern. Psst, zischte Kathleen und robbte nach vorn. Michelle folgte ihr. Hinter einem kleinen Gebüsch machten sie halt. Von dort konnten sie die Szenerie beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Und plötzlich verstand Michelle, warum sie leise sein sollten und über den Boden robben mussten, damit man ihre Ankunft nicht bemerkte. Von dieser Stelle aus konnte sie in eine große Schlucht blicken. Jetzt sah sie viele Menschen und auch einige Schatten, ein weiterer, bunter Wirbelsturm weiter hinten. Und Grabsteine, überall Grabsteine.
"Das da unten ist der Friedhof des Ortes. Hier werden die Menschen von den Schatten hingebracht", erklärte Kathleen.
„Oh“, sagte sie.
„Ja, oh.“
Michelle bot sich ein Anblick, der an die Zustände in
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