Das Ende der Nacht: Horror-Roman
Mitschülerin auf die Beine.
"Das können die also?", sagte Michelle keuchend, während sie sich mit ihrem Ärmel den Mund abwischte. "Ich dachte, das war's jetzt. Was hast du bloß gemacht, damit er von mir ablässt?"
"Ich habe ihn getötet", antwortete Kathleen, als würde sie über ein Hobby sprechen.
"Du hast ihn aufgelöst", sagte Michelle verwundert, "Wie hast du das gemacht, Kathleen?"
"Glück", sagte sie, drehte sich um und lief zur Beifahrertür. "Wir müssen hier weg. Schau mal nach hinten!"
Michelle drehte sich um und sah am anderen Ende der Straße unzählige von diesen Schatten. Eine verdammte Armee! Was waren das bloß für grässliche Kreaturen? Und woher kamen sie so plötzlich?
Kathleen wusste zu viel darüber. Sie war viel zu selbstsicher in einer solchen Situation, fast so, als wartete sie nur darauf, entsprechend handeln zu können. Ich muss sie ausfragen, sobald wir am Treffpunkt sind, dachte sie und rannte zur Fahrertür, öffnete sie und setzte sich in den Wagen.
"Noch fünf Minuten“, sagte Kathleen, „Gabriel kommt immer auf die Sekunde genau. Frag mich nicht, wie er das macht.“
Jetzt hielt sie eine Tafel Schokolade in der Hand und aß genüsslich Stück um Stück, während Michelle losfuhr, in die andere Richtung, weg von den Schatten. Kathleen diktierte beiläufig den Weg, bis sie den Rastplatz erreicht hatten. Er lag an der 4, an jener Landstraße, über die sie hierher gekommen waren. Als Christina noch gelebt hatte.
Michelle hatte während der Fahrt gehofft, wenigstens einen Menschen zu erblicken. Innerlich aber hatte sie gewusst, dass diese Hoffnung sinnlos war. Der Ort war ausgestorben. Wahrhaftig ausgestorben. Und so sah es jetzt wohl überall aus. Auf der ganzen Welt? Waren diese Schatten womöglich überall? Der Gedanke war beunruhigend und doch war etwas in ihr, das ihn sogar lustig fand. Wie konnte sie nur so denken? Eine Leere hatte sich in ihrem Kopf ausgebreitet und nur eine Frage zurückgelassen: Wenn die Welt dem Untergang geweiht ist, wofür lebe ich dann noch?
"Ist dir nicht gut?"
Kathleens Stimme riss Michelle aus ihren Gedanken.
"Nein, ganz und gar nicht, verdammt. Wir sind die einzigen Überlebenden in diesem Ort."
"Stimmt nicht. Mein Bruder kommt gleich."
"Das weiß ich und das meine ich auch nicht. Bist du dir denn nicht bewusst, was hier geschehen ist?" Michelle sah ihre Mitschülerin an und wartete auf eine Reaktion.
"Alle sind weg. Meinst du das?"
"Willst du mich verarschen? Ich meine, glaubst du, dass die Schatten nur hier sind, in diesem Dorf?"
"Weiß ich nicht. Habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht so darüber nachgedacht."
Kathleen aß weiter ihre Schokolade. Sie lügt, dachte Michelle, sie kann nur lügen. Kathleen scheint die ganze Situation völlig gleichgültig zu sein, noch gleichgültiger als sie mir ist. Michelle fühlte sich wie eine Wahnsinnige zwischen zwei Ausbrüchen. Eine Wahnsinnige, die versuchte, wieder normal zu werden. Plötzlich gähnte sie, dann stieg sie aus dem Wagen und zündete sich eine Zigarette an, um den Geschmack von Kotze endlich zu vertreiben. Sie hatte nur dreimal daran gezogen, als ein blauer, verrosteter Lieferwagen den Rastplatz erreichte. Er war aus einer kleinen, von Bäumen umgebenen Seitenstraße gekommen.
Kathleen war ausgestiegen und lief auf den haltenden Wagen zu. Gabriel wirkte älter als seine Schwester. Das sah Michelle schon an dem kantigen Gesicht. Er trug eine schmale Sonnenbrille auf seiner Nase, obwohl die Sonne noch immer ihre Zeit brauchte, um alles zu erstrahlen. An Gabriels Ohr glänzte etwas Silbernes, das durch die Spiegelung des Fensters nicht erkennbar war. Als er ausstieg, sah Michelle, dass er eine verwaschene, blaue Jeans und ein hellrotes Sweatshirt mit der Aufschrift I'm with Stupid trug. Er hatte schwarze, kurze Haare und einen Drei-Tage-Bart. In seinem Gesicht waren tiefe Furchen, die von einer Zeit mit Akne stammen mochten. Den Motor seines Wagens hatte er angelassen. Kathleen hatte ihn erreicht und erzählte ihm etwas, das Michelle nicht verstand. Dann gingen sie gemeinsam zu ihr. Gabriels Gang wirkte wie von einem Cowboy, jedenfalls stellte sich Michelle das so vor. Fehlte nur noch der Hut.
"Hallo, ich bin Gabriel", begrüßte er sie freundlich und reichte ihr seine rechte Hand, die Michelle zögernd mit ihrer ergriff. Gabriels Händedruck war weich. Er wirkte in vielem freundlicher und aufgeschlossener als seine Schwester. An seinem Ohr, konnte Michelle jetzt erkennen,
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