Das Ende der Nacht: Horror-Roman
Konzentrationslagern erinnerte, wie sie sie aus Filmen in Erinnerung hatte. Ungefähr zwei Dutzend dieser Schattenwesen hatten sich an den Ausgängen des Friedhofs positioniert. Andere waren auf dem Totenacker bei den Menschen, und sie waren viele. Einige hundert Personen bestimmt. Und wenn sie nicht schon in einem Graben lagen, waren sie am Schaufeln und Hacken. An vielen verschiedenen Stellen gruben sie tiefe und breite Löcher. Mehrere davon waren schon so tief, dass die grabenden Menschen darin ohne fremde Hilfe nicht mehr hinaus kommen würden. Einige Personen jedoch, fiel Michelle auf, taten gar nichts. Sie standen an den Rändern der Gruben, beobachteten die Arbeitenden und hielten etwas Dunkles, Langes in den Händen. Gewehre. Öfters schrie jemand, ich kann nicht mehr, oder es waren einfach nur Laute der Anstrengung. Dann kamen Befehle von den Bewaffneten: Mach weiter, sonst erschieße ich dich!
Michelle dachte, ich würde mich erschießen lassen.
"Warum lassen sie die Menschen schaufeln?", war ihre erste Frage.
"Das siehst du doch. Die tiefen Löcher werden ihre Gräber. Die Menschen da unten müssen sich ihr eigenes Grab schaufeln."
"Aber einige machen gar nichts. Die stehen nur da und bewachen die anderen mit Gewehren."
"Richtig. Sie wurden von den Schatten gebissen. So wie du, bloß tief in den Nacken. Dadurch wird das zentrale Nervensystem gestört und diese Schattendinger bekommen Kontrolle über dich. Das ist so eine Art Gift, das sie dabei spritzen. Nur viel komplizierter. Diese Bewaffneten sind sozusagen die Handlanger der Schatten. Willenlose Geschöpfe, die nur einem Zweck dienen, Überwachung"
"Wurde mir auch das Gift gespritzt?"
"Ja, aber es kann nur was bewirken, wenn es direkt ins Knochenmark gespritzt wird. Auf dem Weg in deiner Blutbahn verliert das Gift an Konzentration. In Arme und Beine gespritzt ist es so harmlos wie eine Impfung. Sei unbesorgt. Dir geht es auf jeden Fall viel besser als den Leuten da unten."
"Das kann man wohl sagen“, sagte Michelle und dachte an das Restgift, das womöglich jetzt noch in ihr zirkulierte, „Kann man ihnen gar nicht helfen?"
"Wenn du unverwundbar bist und über ein enormes Waffenarsenal verfügst, vielleicht. Ansonsten stehen die Chancen eher schlecht, dass du nicht zur Grabarbeit degradierst wird. Bevor du auch nur einen Menschen befreit hast, nimmst du eine Schaufel in die Hand."
Michelle begriff und starrte weiter auf das Treiben da unten. Zwei Männer hatten begonnen sich gegenseitig mit den Schaufeln ins Gesicht zu schlagen, eine Frau schrie und lief auf sie zu, sprang dem einen auf den Rücken und kratzte ihm über das Gesicht. Eine weitere Frau packte die erste und riss sie wieder herunter. Sie wälzten sich auf dem Boden und stießen sich gegenseitig ihre Finger in Bauch- und Brustgegend, während zwei weitere Männer mit ihren Schaufeln auf die ersten einschlugen. Als die erste Frau die Bauchdecke der anderen blutig gekratzt hatte und nun beide Hände nahm, um die Wunde zu vergrößern, ertönten die Schüsse. Ein Handlanger der Schatten hatte das Gemenge bemerkt und schoss nun jedem der Beteiligten in den Kopf. Stets mit einer kurzen Pause zum Nachladen, spritzten Blut und Gehirnteile auf den feuchten Friedhofsboden, bis sechs Leichen zurückblieben. Stumm und ungelenk lagen sie da und Michelle dachte, dass sie wie Puppen waren, die ein Kind in die Ecke geschmissen hatte.
„Du und du!“, schrie der Handlanger zwei Männer an, „Wegräumen!“
Michelle stöhnte auf und blickte zu Kathleen.
"Und dort unten sind auch Christinas Eltern?"
"Wenn sie überlebt haben, ja. Ich gehe davon aus, dass die Schatten jeden Menschen, der beim Öffnen der Tore in diesem Ort gewesen war, gefangen genommen haben."
"Was überlebt haben? Einen Schattenangriff?", fragte Michelle. Sie nahm sich vor, Kathleen bei der nächsten Gelegenheit zu fragen, woher sie das alles wusste.
"Wenn sie die Energie der Tore überlebt haben, meine ich. Klar wurden auch schon welche von den Schatten angegriffen. Aber am Anfang ist da nur diese Energie. Du weißt ja, dass man ohne Hilfsmittel langsam wahnsinnig wird. Dass diese Aggressionsschübe kommen und du am liebsten jeden zerfetzen willst."
Michelle nickte.
"Vor dem totalen Zerfall deiner Selbst steigert sich deine offene Aggressivität, bis du immer grausamere Methoden findest, einen Menschen zu töten. Wie du weißt, beeinflusst die Energie auch den Teil deines Gehirns, der dein Moralempfinden steuert. Sie
Weitere Kostenlose Bücher