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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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Sicht durch Kimme und Korn. Mein ganzes Gesichtsfeld öffnete sich.
    Selbst als ich noch ein Junge war, gefiel mir der Moment des Tötens am allerwenigsten. Ich liebte es, mit meinem Onkel Pete auf die Jagd zu gehen. Er war ein unverbesserlicher Literat und Draufgänger vom Schlage Ernest Hemingways und Jack Londons, außer dass er im richtigen Leben als Tanzlehrer arbeitete. Auf Kreuzfahrtschiffen. Er und Tante Louise machten das zwanzig Jahre lang, bis sie starb. Mein bis dahin so überschwänglicher Onkel wurde still und ernst. Es war aber immer noch lustig mit ihm. Er war in beidem nicht sehr gut, nicht als Draufgänger und nicht als Literat, aber ich bewunderte ihn lange Zeit, länger als notwendig. Als ich zwölf war, nahm er mich zum ersten Mal mit auf die Elchjagd.
    Ich war talentiert. Was bedeutete, dass ich das Gelände und den Lebensraum der Tiere zu deuten wusste, als wäre ich bei einem Naturvolk aufgewachsen. Ich war ganz still und achtete auf die Windrichtung, auf das Geräusch der Zweige, die an meinem Nylonrucksack entlangfegten, und auf das allgegenwärtige Plätschern des Wassers. Ich war ein geschickter Späher, ich machte mich beim Aufschlagen des Lagers nützlich, und ich sprang geradezu aus meinem Schlafsack, als es in den eiskalten Bergen Mitte November um fünf Uhr morgens Zeit zum Aufstehen war. Alles begeisterte mich, und offenbar hatte ich auch keine Probleme damit, die Elchkuh ins Visier zu nehmen; aber als ich schoss und sie stürzte, als sie vorwärts stolperte und einen Purzelbaum machte … ihre schwarzen Augen, als sie im Liegen vergeblich mit den Beinen zuckte, bevor ich ihr aus lauter Panik in den Kopf schoss, bevor das Leben aus ihren Augen und ihren Beine wich … und dann das mühsame Häuten, als ihr Blut sich auf der gefrorenen Erde verteilte und sich mit der warmen Milch aus den tropfenden Zitzen zu Rosa mischte …
    … nein, das gefiel mir nicht. Ich begleitete ihn noch oft auf die Jagd, jahrelang, und alles daran gefiel mir, auch, den Elch in der Gefriertruhe zu haben. Aber das nicht. Ich töte nicht einmal Insekten, wenn es nicht sein muss.
    Zweihundertdreiundzwanzig zweihundertvierundzwanzig.
    Kein Bangley. Einmal hatte ich versucht zu verhandeln. Näher war ich dem Tod nie gekommen.
    Die alten Regeln gelten nicht mehr, Hig. Die sind den Bach runter. Die sind Vergangenheit, so wie die Gletscher und die Regierung. Die Welt ist jetzt anders. Andere Welt, andere Regeln. Nie verhandeln. Unter keinen Umständen.
    Das sagt er gern, bevor er jemanden abknallt.
    Fünf auf einmal waren viele, mehr, als wir den letzten Jahren hatten. Sie kauerten sich nieder. Der Größte direkt neben dem Müllcontainer hatte ein Gewehr mit Zielfernrohr, er lehnte sich beim Sprechen zurück und gestikulierte mit der rechten Hand, tippte sich an die Matrosenmütze. Der Mann direkt daneben hatte eine Art Sturmgewehr, vermutlich eine Kalaschnikow. Die drei anderen: zwei Schrotflinten und eine Büchse, mit meinem Nachtsichtgerät gut zu erkennen. Der dritte von rechts, der mit Schrotgewehr, trug einen Cowboyhut. Kleiner Mann mit großem Hut. Sie steckten die Köpfe zusammen und nickten, gleich würde es losgehen. Meine Hand zitterte. Gleich würden sie kein so kompaktes Ziel mehr sein.
    Ich hatte vor, von rechts nach links zu schweifen, auf die Körpermitte des Mannes rechts außen zu zielen und dann in Vollautomatik mitten durchzuschneiden.
    Ich legte den rechten Zeigefinger an den kalten Abzug, holte tief Luft, einen tiefen, tiefen Atemzug, den ich langsam wieder ausströmen ließ, so, wie ich es gelernt hatte, und dann.
    Dann krachte es. Irgendwo in der Nacht. Nicht ich. Lodernde Flammen am rechten Rand meines Gesichtsfelds, das ausgebrannte Wrack eines Lasters, das Getöse von Schnellfeuer, und die Gruppe explodierte vor meinen Augen, rote Fetzen flogen durch die Luft wie tödliche Käfer, die ihre Schatten aufwärts warfen und im Bogen runterkamen, um von der grünen Erde verschluckt zu werden.
    Nicht ich.
    Nicht ich hatte den Abzug gedrückt.
    Ein Kreischen und ein Schrei, der eine stöhnt und der andere windet sich wimmernd, und dann sah ich Bangley hinter dem Laster hervortreten und in aller Ruhe seinen Fünfundvierziger aus dem Halfter ziehen. Er gab im Gehen drei Schüsse ab, und die, die eben noch gewimmert hatten, verstummten.
    Eine leichte Brise, kalt. Das Blut rauschte in meinen Ohren, spülte die Schreie weg. Stille.
    Er las die am Boden verstreuten Gewehre auf, schlang sich alle fünf

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