Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
Vom Netzwerk:
Ich musste so sehr schluchzen, dass ich würgte. Vielleicht sahen sie zu, ja, klar sahen sie zu, scheiß drauf. Ich ließ alles raus und atmete durch. Ich kniete mich hin, wusch mir das Gesicht, die Wange, die schon von winzigen Krusten bedeckt war. Ich trank. Wieso zum Teufel weinte ich die ganze Zeit? Eigentlich war es mir scheißegal. Es war nicht so, dass ich die Nerven verloren hätte, ich hatte einfach keine Lust mehr. Neun Jahre lang kaum eine Träne, dann Jasper und jetzt das.
    Auf einmal öffnet sich die ganze Welt, öffnet sich in einer schmalen Schlucht mit vier Schafen, und dann trauern wir. Zwei verrückte Schäfer, vielleicht nicht ganz bei Trost, und wir trauern. Die Erleichterung darüber, andere Gesellschaft zu haben als Bangley, als die Blutkrankheit, und wir trauern. Wir trauern. Früher war das hier der Arsch der Welt, und jetzt ist es nicht einmal mehr das. Noch bevor ich weiß, wo ich bin: Ich bin Witwer. Ich kämpfe ums Überleben. Ich bewahre etwas, ich weiß nicht, was es ist, keine Flamme, vielleicht nur Jasper. Ich wusste nicht mehr, was ich war. Also trauerte ich.
    Ich stand im Schatten des Baumes, im kalten Atem des fließenden Wassers und ließ mich von den Geräuschen und von der leichten Brise durchwehen. Ich war eine Höhle. Leer. Wenn man das Ohr an mich legte, würde man das ferne Rauschen eines Phantomozeans hören. Oder gar nichts. Der leichteste Druck hätte gereicht, die kleinste Welle, um mich zu fällen und rumzuwirbeln. Ich würde angespült werden. Hier an dieses Ufer, ich würde austrockenen und ausbleichen, und der Wind würde mich polieren, Schicht um Schicht abtragen, bis ich spröde und dünn wie Papier wäre. Bis ich zu Sand zerfiele. So sah ich mich. Ich würde sagen, es war eine Erleichterung, endlich nichts mehr zu haben, gar nichts, aber ich war zu ausgehöhlt, um Erleichterung zu fühlen, ich war zu leer, um sie aufzunehmen.
    Was dieser alte Mistkerl mir antat, interessierte mich nicht mehr. Nichts zu verlieren ist so leer, so leicht, dass der Sand, zu dem man schließlich zerfällt, von einem Windstoß weggeblasen wird, so leicht, dass man als Sandsturm zu den Sternen hochgetragen wird. Das ist unser Weg. Der Rest besteht nur daraus, dünnpoliert zu werden und auf den Wind zu warten.
    Ich war in keiner guten Position, um zu verhandeln, klar. Ich hatte nichts einzutauschen. Ich dachte nicht einmal: Ich habe ihn und seine Tochter verschont, er schuldet mir mindestens … Was? Irgendwas. Zwanzig verdammte Punkte.
    Ich ging zurück.
    Ich gehe. Den verdammten Baumstamm da rauf. Ganz offensichtlich wollt ihr keine Gesellschaft.
    Ich sah sie an.
    Könnte ich bitte eine Prise haben? Früher habe ich mir nie was draus gemacht, aber der Tabak riecht so gut. Danke.
    Ich nahm eine Prise. Das Nikotin machte sich schlagartig bemerkbar, und für eine Sekunde wurde mir schwindlig.
    Verdammt. Hatte völlig vergessen.
    Ich spuckte aus.
    Ihr könnt mir gerne in den Rücken schießen, wenn ich raufklettere, wie gesagt, am Ende tut ihr mir einen Gefallen damit.
    Sie starrten mich an. Die Frau hatte einen dunklen Fleck am Hals, ein Würgemal.
    Ich brauche meine Glock und das Gewehr. Die Granaten könnt ihr behalten. Kleines Gastgeschenk.
    Er zögerte, nahm die Pistole vom Tisch und reichte sie mir mit dem Kolben zuerst. Ich steckte sie ins Halfter. Er nahm das Gewehr und hielt es wie zum Appell quer über die Brust, dann gab er es mir.
    Danke. Danke für den Tritt in den Arsch.
    Ich holte aus und schlug ihm den Kolben ins Gesicht.
    Der Schlag, auf den ich eben Lust gehabt hatte. Eine kurze Rechte gegen seine Wange. Es haute ihn von den Füßen, und er landete mit dem Hintern zuerst im Dreck. Verlor seinen Hut. Total überrascht. Er stützte sich auf die Hände und blinzelte mich an, und erst als ich meine Augen an ihm runterwandern ließ, entdeckte ich die Waffe in seiner Hand. Die reinste Magie. Eine schwere Polizeiwaffe Kaliber . 45 .
    Du hättest mir nicht in den Hintern treten müssen. Oder den Henker spielen. Ich hätte so oder so gehorcht.
    Sagte ausgerechnet ich.
    Ich drehte mich um und überquerte den Hof stromaufwärts, mein Rücken ungeschützt und so bereit für eine Kugel wie für das Kommen und Gehen des nächsten Moments.
    *
    Du, du, hey.
    Was?
    Higs, richtig? So heißt du doch.
    Hig.
    Hig. Willst du Mittagessen?
    Ich blieb stehen. Sie war ungefähr einen Zentimeter größer als ich. Eine sonnenverbrannte Narbe scheitelte ihr Haar und ihre rechte Augenbraue. Schmal und

Weitere Kostenlose Bücher