Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
besonders großen Bock, der direkt vor uns stand, aber da schrie ich: NEIN!, und das Tier sprang davon. Melissa drehte sich zu mir um, sie platzte fast vor Wut über den Verrat. Als ich aufwachte, hielt ich die Hängematte mit beiden Händen fest umklammert und brauchte eine ganze Weile, um zu realisieren, wo ich war, dass ich nur geträumt hatte, und dann überfiel mich eine Art Schwindel, und ich dachte: Das war nur ein Traum. Ich war ein bisschen erleichtert darüber, in diesem Traum aufgewacht zu sein und in keinem anderen.
Cimas Hämatome verblassten und verschwanden, während immer neue entstanden. Wir redeten pausenlos. Trotzdem fühlte ich mich während unserer Schweigepausen sehr wohl, die nie ganz still waren, weil immer irgendein Zaunkönig oder eine Lerche sang. Die aufblitzenden Flügelbinden der Nachtfalken am Abend. Später dann zirpten die Fledermäuse, raschelten die Blätter, blubberte der Bach. Friedliche Geräusche, die in Anbetracht unserer Lage fast seltsam klangen. Ich fühlte mich wohl dabei, neben ihr im Garten zu arbeiten oder im Schatten am Tisch zu sitzen und Gemüse zu putzen. Ich verrate Ihnen was: Wenn die Welt zu Ende geht, ist man nicht mehr frei. Je schöner mein Urlaub wurde, desto heftiger wehrte sich das wilde Tier in mir. Desto öfter träumte ich von Jasper und Melissa. Desto trauriger wurde ich. Ist doch komisch, oder? Einmal berührten sich unsere Hände beim Erbsenschälen, und sie zog ihre Finger nicht weg. Sekundenlang. Ich sah sie an, und ihr Blick war fest und offen, ihre Augen glänzend wie schwarzes Glas, wie ein dunkler Teich an einem windstillen Tag, heiter, in sich ruhend, abwartend. Wunderschön. Bereit, eine Wolke zu spiegeln oder vom Regen aufgewühlt zu werden. Ich bekam keine Luft mehr.
Die Offenheit, die Ruhe in ihrem Blick kamen mir mutig vor, schüchterten mich ein. Ich war wohl zurückgezuckt, denn sie lächelte in sich hinein und wandte sich wieder den Zuckererbsen zu. Bestimmt kennt man als Internistin sämtliche Symptome, da wundert man sich über gar nichts mehr.
Wir hatten genug Hirschfleisch und keinen Grund, Lamm oder Rind zu essen, deswegen taten wir es nicht. Pops hoffte, dass ein paar der Tiere allein zurechtkommen würden, falls es später im Jahr noch regnete, falls der Winter so mild war wie der letzte. Wenn die Lage sich bessert, können wir zurückkommen, sagte er. Wir sagten nichts. Normalerweise war Pops nicht der Typ, sich selbst etwas vorzumachen, aber nun war es doch passiert. Ein jeder hat seine eigene geheime Traumwelt.
Noch eine Woche, noch zwei. Innerlich begann sich etwas zu lösen. Man merkt ja nie, wie angespannt man vorher war. Pops hackte Holz. Ich zündete draußen das Lagerfeuer fürs Abendessen an, und wir saßen auf Baumstümpfen und schauten in die Flammen. Sie tanzten und zischten im Rhythmus des Windes. Um diese Tageszeit blies der Wind stromaufwärts, so wie im Rest des Landes, bloß dass er hier in der Schlucht herumwirbelte und es keinen rauchgeschützten Platz am Feuer gab. Wir hatten uns schon zweimal umgesetzt. Der Qualm ließ meine Augen tränen.
Die Augen tränen im Qualm, und dann fängt man zu trauern an, sagte ich. Wie beim Zwiebelnschneiden. Da werde ich auch immer traurig.
Sie lächelte.
Ich war noch nie in New York. Schön da?
Ich habe es geliebt. Es war einfach nur toll. Weißt du noch, wie die Leute früher sagten, sie hätten am liebsten zwei Leben, eins als Cowboy und eins, um Schauspieler zu werden? Oder so ähnlich? Ich hätte mir auch zwei Leben gewünscht. Um in den Heights zu wohnen – Brooklyn Heights – und gleichzeitig, sagen wir, im East Village. Ich konnte gar nicht genug von der Stadt bekommen. Ich wollte zu den Spielen der Yankees gehen – Yankees, nicht Mets – und zu den Aufführungen Off Broadway und zu Poetry Slams und in die Met. Wieder und wieder. Ich wollte mir jede Retrospektive jedes Künstlers ansehen. Bei Sabrett’s konnte ich essen, bis mir schlecht wurde.
Sabrett’s?
Hot Dogs. Mit Sauerkraut, gerösteten Zwiebeln, Senf, ohne Gurken. Manchmal bin ich abends durch die Court Street zu den Carroll Gardens gelaufen und wieder zurück. Ich habe alle Straßenhändler an allen Ständen kennengelernt, wo sie Tücher und Kinderbücher und gefälschte Uhren verkaufen. Ich dachte: Wenn wir mal Kinder haben, kaufen wir ihnen hier ihre ersten Bücher. Für zwei Dollar! Wahrscheinlich von der Mafia aus dem Laster geklaut, was?
Wahrscheinlich.
Eine Welt mit einer Mafia!
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