Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
auf sie mit aller Kraft, weil ich es ihr versprochen hatte. Weil ich es richtig machen wollte. Das habe ich doch, oder?
Konnte ich ihr allen Ernstes erzählen, dass wir mitten in der Nacht einen kleinen Jungen erschossen hatten? Dass wir kein Hundefutter aus ihm gemacht hatten? Dass wir am helllichten Tag ein junges Mädchen ermordet hatten, das mir mit einem Küchenmesser in der Hand gefolgt war, um mich um Hilfe zu bitten? Oder dass meine schönste Erinnerung vielleicht die an Jasper war, wie auf der Sandbank lag und auf mich wartete, während ich in einem Gebirgsbach Forellen angelte? Dass die Erinnerung mir vorkommt wie ein ferner Traum. Dass ich nicht mehr zwischen Traum und Erinnerung unterscheiden kann. Ich erwache von einem Traum in den nächsten und weiß selbst nicht, warum ich weitermache. Dass mich vermutlich nur noch meine Neugier am Leben hält. Dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob das ausreicht.
Ich habe meine Frau mit einem Kissen erstickt. Am Ende, als sie mich darum bat. Wie man einen Hund einschläfert. Oder so. Schlimmer noch.
Ihre Hände hielten den Mangold fest. Sie zerquetschte die Blätter mit den Fingern. Sie nickte. Ihr Blick war fest und aufmerksam.
Ich wünschte, ich hätte dasselbe für Tomas tun können. Ich wünschte. Warum bin ich nicht bei meinem Mann geblieben? Meine Mutter hatte ihren an ihrer Seite. Sie hat mich nicht so sehr gebraucht wie Tomas. Na ja, als ich abreiste, war er noch nicht so krank. Er hustete ein bisschen, aber wir waren uns nicht sicher. Kein Fieber. Damals haben viele gehustet, und nur ein paar von denen hatten die Grippe. Aber ich hätte es ahnen müssen. In meiner Position, wo ich Zugang zu diesen Berichten hatte, hätte ich es ahnen müssen.
Sie saß aufrecht im Beet und weinte stumm. Ich legte den Mangold in den Korb und jätete weiter. Ich klopfte die Erde von den Wurzeln und legte die Würmer vorsichtig in die Erde zurück.
*
Am tiefsten war das Wasser direkt unter dem Wasserfall. Selbst in Zeiten der Dürre war es an der Stelle kalt und eineinhalb Meter tief. Schwer vorstellbar, dass es ganz versiegen sollte, aber es würde so kommen, ohne Schmelzwasser und ohne Sommerregen. Als es tagsüber richtig heiß wurde, ging ich jeden Tag schwimmen. Ich ging spät am Nachmittag, als die letzten Sonnenstrahlen in den Canyon fielen. Ich mochte das Wechselbad aus warm und kalt. Die Stelle war von Weiden abgeschirmt. Ich hängte mein Hemd über die Zweige wie eine zerfranste Flagge, um meine Anwesenheit zu verkünden, und dann ging ich über den Trampelpfad zum Wasser. Die Gischt vom Wasserfall benetzte die glatten Steine am Ufer, wo es schlagartig kälter wurde. Ich war dankbar, so dankbar wie den ganzen Tag nicht, ich knöpfte meine Hose auf und stieg aus meinen Stiefeln, zog mich aus. Manchmal saß ich einfach nur in der Gischt auf den warmen Steinen und ließ Beine und Füße ins Wasser baumeln: kalte Nebelschwaden an meiner Brust, die Sonne im Rücken, der Kontrast. Schaute zu, wie die Regenbogenfetzen durch die Gischt wanderten.
Ich wollte sie fragen: Was wusstet ihr denn über die Grippe, über die drohende Pandemie? Wusstest du etwas? Wart ihr wirklich alle so überrascht? Warum ging es so schnell? Was hat es mit dieser Blutkrankheit auf sich, die direkt danach kam, und warum wurden so viele der Überlebenden angesteckt? Ich wollte sie fragen, seit sie mir gesagt hatte, dass die Ärztin war, Fachärztin sogar. Aber dann erzählte sie mir die Geschichte von ihrem Mann, der ohne sie im Krankenhaus gestorben war, und ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Aber nun sah es anders aus. Sie hatte von sich aus mit dem Thema angefangen. Dann hatte sie zu weinen angefangen. Ich hätte wahrscheinlich auch geweint, aber um die Wahrheit zu sagen: Ich hatte keine Tränen mehr. Ich war so ausgewrungen wie ein menschlicher Lumpen.
Ich saß mit nacktem Hintern auf den Steinen und hielt meine Füße ins Wasser, spürte die kalten Nebelschwaden vom Wasserfall und hörte nichts als das Brausen und Rauschen des Wassers, während mir die Sonne von hinten heiß auf die Ohren brannte. Ich dachte an nichts. Ich war dankbar. Mein liebster Moment des Tages. Endlich konnte ich sagen: Ich habe meinen Frieden gefunden. Hier am Ufer eines sterbenden Baches.
Nach dem Vormittag, an dem wir den Mangold gepflückt hatten, lief ich zum Wasserfall und zog mir mein dreckiges Hemd über den Kopf, um es zu waschen. Was lediglich bedeutete, es auszuspülen, auf den Felsen zu schlagen
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