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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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Irgendwie romantisch, findest du nicht? Die guten alten Zeiten.
    Ich sagte: Was ist mit dem Ende? Hast du es vorausgesehen?
    Sie schüttelte den Kopf. Sie beugte sich vor und stocherte mit einem Ast im Feuer, und dabei hing ihr zu großes Hemd gerade von ihren Schultern runter, und ich konnte ihre Brüste sehen, größer als erwartet, dunkel und sommersprossig am Dekolletee und weiter unten milchweiß. Heute hatte ich wohl für nichts anderes mehr Augen. Ein Teil von mir war endlich aufgewacht. Sie sind immer dagewesen, Hig, aber du hast in deinem Nebel gestanden.
    Der Nebel des Daseins, sagte ich.
    Wie bitte?
    Entschuldige. Manchmal führe ich Selbstgespräche.
    Ist mir auch schon aufgefallen.
    Tatsächlich?
    Sie nickte. Ich auch?
    Nicht, dass ich es gemerkt hätte.
    Schweigen.
    Ich habe den Zusammenbruch nicht miterlebt, das Massensterben. Aber ich habe es gefühlt wie eine Luftveränderung, die Schlimmeres ankündigt als schlechtes Wetter. Auf der Ranch war ein paarmal etwas Ähnliches passiert. Man spürt den Druckabfall in den Adern, in der Lunge. Der Himmel verdunkelt sich und wird seltsam grünlich. Das Vieh ist nervös und noch unruhiger als vor einem Gewitter. So fühlte es sich an. Deswegen hätte ich es ahnen müssen.
    Hätte ich. Denke ich bei mir. So viel hätte . Man hätte ganze Häuser draus bauen können, oder sie zu Feuerholz zerhacken, den Garten damit düngen.
    Weißt du, wie es angefangen hat? In Neu Delhi?
    Sie schüttelte den Kopf.
    So stand es in der Zeitung. Mutationen eines Supervirus, an dem sie zwei Jahrzehnte lang geforscht hatten. In der Wasserversorgung und so weiter. In Kombination mit der Vogelgrippe. Man nannte es die afrikanische Vogelgrippe, in Anlehnung an die Killerbienen. Erste Fälle in London führte man auf Neu Delhi zurück. Aber Delhi ist wahrscheinlich nicht der Ursprungsort gewesen. Den Gerüchten zufolge kam es aus Livermore.
    Aus den nationalen Waffenlabors?
    Sie nickte. Angeblich handelte es sich um einen simplen Transportunfall. Ein Kurier in einem Militärflugzeug sollte unseren englischen Freunden eine Probe bringen. Angeblich ist das Flugzeug in Brampton abgestürzt. Die Wahrheit werden wir nie erfahren … Sie schaute sich in der Schlucht um, ließ die Absurdität ihrer Worte vom Wind und vom Qualm davontragen.
    Auf einmal war ich hellwach. Sie atmete tief ein, und da sah ich – Hig!, wie ihre Brustwarzen sich durch den dünnen T-Shirtstoff abzeichneten. Mein Gott. Hig. Du hast seit zehn Jahren keine echten Nachrichten mehr gehört, und jetzt geilen sie dich auf?
    Genetisch veränderte Grippeviren sind ein alter Hut.
    Genau, sagte ich.
    Sieh mir ins Gesicht, wenn ich mit dir rede.
    Ich schüttelte mich. Sie grinste mich durch den Qualm hinweg an.
    Calmate , Soldat, sagte sie.
    Ich spreche kein Spanisch, murmelte ich.
    *
    Wir aßen zu Abend. Ich wusste nicht, wie spät es war, aber es war spät am Abend, wenn der Himmel von jenem leuchtenden Blau ist und kaum ein Stern zu sehen, wenn die Nachtfalken über die Wiese flattern und über dem Wasser die frisch geschlüpften Mücken einfangen. Sie überwinterten irgendwo in Mexiko und schienen sich ganz gut zu machen. Sie waren ähnlich geschickte Flugakrobaten wie die Schwalben. Wann immer sie abrupt die Richtung wechselten, blitzten ihre Flügelbinden im Dunkeln auf. Dieses seltsame Sturzfluggeräusch, wie wenn man an einen Flaschenhals bläst. Es war ein Vergnügen, sie bei der Jagd zu sehen.
    Vermutlich jagten sie zu dieser Stunde, weil jetzt die Insekten rauskamen. Es war noch nicht so kalt wie später, wenn es ganz dunkel wurde und die Sterne am Himmel zusammenklebten und man spüren konnte, wie die Felswände die Hitze des Tages abgaben.
    Ich trug unser Geschirr an den Bach und spülte es mit Sand. Meistens kochten sie draußen über einem Lagerfeuer, das in einem Bett aus Steinen brannte. Abends saßen Vater und Tochter auf zwei Baumstümpfen und starrten in die bei jeder Bö aufglühenden Kohlen wie in einen Fernseher. Ich stellte das nasse Geschirr auf den Tisch, legte mich in meine Hängematte und überprüfte, wie lange ich es aushalten konnte, an rein gar nichts zu denken. Ich glaube, mein Rekord lag bei sechs Mal »vierundzwanzig«.
    Einmal schlief ich nackt ein, noch bevor ich in meinen Schlafsack kriechen konnte, und dann wachte ich mitten in der Nacht auf, weil jemand mich zudeckte. Ich erschrak nicht, es erschien mir vollkommen logisch. Ich wollte mich aufsetzen, aber eine Hand drückte mich sanft

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