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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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auf die Zigarettenstummel, flach und durchweicht, wie Schalen, die von einer harten Frucht gerutscht sind.
    »Nichts«, sage ich noch einmal und sehe ihm in die Augen, diese verwirrten Augen.
    Danke, sagt er dann, das sagt er wirklich, er legt mir die Hände auf die Schultern, als ob er mich umarmen wollte, und tut es auch fast, aber stattdessen umfasst er einen meiner Zöpfe, zieht leicht daran und lächelt. Sein Gesicht ist voller Licht, und ich merke, wie mein Hals rot wird, und mein Gesicht auch, weil ich dachte, er würde mich umarmen, das habe ich wirklich kurz gedacht. Oder dass er mich über die Schulter werfen würde wie einen Kartoffelsack, wie früher, als wir noch klein waren und er Evie und mich hin- und herschaukelte und unsere Zöpfe flogen und wir so laut quietschten, und Dusty saß am Küchentisch und übte schriftliche Division und schimpfte, wir sollten aufhören, sie hat es immer gehasst, wenn Mr. Verver mit uns spielte. Aber früher oder später schnappte er sie sich dann auch, trug uns eine nach der anderen aus der Küche ins Wohnzimmer und warf uns dort aufs Sofa, wir lachten so laut, und Mrs. Verver kam die Treppe heruntergerannt und wollte wissen, was hier schon wieder los war …
    Mr. Verver unterhält sich im Garten mit den Detectives. Sie stehen im Kreis um die Zigaretten herum wie um ein Lagerfeuer.
    Ich sehe ihnen durch das Küchenfenster zu, die Kaffeemaschine gluckert.
    Manchmal, nachts, steht er hier draußen.
    Das hat Evie gesagt.
    Als sie es sagte, lief mir nur ein kleiner Schauer über den Rücken, wie wenn man sich nachts im Dunkeln gruselt. Später schlich sich die Bemerkung jedoch wieder in meinen Kopf, und ich dachte über die ganzen Jungs nach, die Dusty hinterherliefen, sie in den Schulfluren umschwärmten, ihr Briefchen in den Spind steckten und sie keine Minute allein ließen. Viele von denen könnten nachts hier herumhuschen, etwa Bobby Thornhill, sie vielleicht beobachten wollen und dann womöglich im Garten landen und Evies Fenster für das von Dusty halten.
    Ein bisschen schadenfroh stellte ich mir vor, wie enttäuscht sie sein mussten, wenn sie dann einen Blick auf Evies dünnes Gestell erhaschten, ihre kaum vorhandenen Brüste, wie sie auf dem Bett lag, die Beine übereinandergeschlagen, leicht wippend, mit Pompons an den weißen Söckchen.
    Mr. Verver kommt in die Küche, sein gesamter Körper unter Spannung. »Sie meinen, es könnte eine Spur sein«, sagt er. »Sie wissen es noch nicht, aber sie meinen, es wäre möglich.«
    Ich möchte irgendetwas sagen. Denn ich frage mich, sieht er denn nicht, was das bedeutet? Ist das nicht hundertmal schrecklicher, die Vorstellung, dass Evie – wo auch immer sie ist – bei jemandem sein könnte, der sie beobachtet hat, nächtelang, aus dem Schatten der Bäume heraus, der sie beobachtet hat, in aller Seelenruhe, unbehelligt, der geraucht hat und geatmet und sie beobachtet und …
    Auf einmal klickt es in meinem Kopf, und da weiß ich es, das ist es, die Worte purzeln mir aus dem Mund:
    »Das Auto. Zweimal. Ein Auto ist zweimal an uns vorbeigefahren.«
    »Wie bitte?«, fragt Mr. Verver, vorsichtig, sanft, die Finger auf der Arbeitsplatte. »Ein Auto?«
    »Ein rotbraunes Auto. Als wir gewartet haben, ist es zweimal an uns vorbeigefahren. Mindestens zweimal.« Ich bin sehr aufgeregt, wippe auf und ab, tippe mit den Schuhen auf das Linoleum.
    »Weißt du, was für ein Auto das war, Lizzie?«, fragt er, und seine Augen sind auf einmal ganz hell, ganz klar.
    »Keine Ahnung.« Ich kriege den Satz kaum heraus. »Aber … aber ich kenne das Auto. Ich hab’s schon mal gesehen.«
    Ich bin mir nicht mal sicher, was ich genau damit meine, aber es stimmt.
    Die Detectives stehen um mich herum und zeigen mir Fotos von Autos in einem riesigen Ordner. Seitenweise Autos. So funktioniert es aber nicht, weil etwas ganz anderes meine Erinnerung ausgelöst hat. Ich kann mir das Auto selbst nicht vorstellen, es ist dieses Gefühl, als es an mir vorbeifuhr, die Neugier, die kurz in mir aufflammte, warum fährt der so langsam, ist das nicht dasselbe Aut…
    Ein winziger Augenblick, dann war es vorbei.
    Da hat sich wohl jemand verfahren, sagte Evie. Hat sie das nicht gesagt?
    Und ich weiß noch, dass ich das Auto in dieser Sekunde fast wiedererkannt hatte, in dieser kurzen Sekunde, in der sie das sagte, das Erkennen hing irgendwo in meiner Nähe, ich hätte es nur an mich ziehen müssen.
    Eine Stunde oder mehr vergeht, Mr. Verver tigert auf und ab,

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