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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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Mrs. Verver hat ein Beruhigungsmittel genommen, und ich weiß nicht, was ich tun soll, ich gehe in die Küche und hole mir ein Glas Wasser, zweimal, dreimal. Einmal komme ich an der Treppe vorbei und höre Dusty in ihrem Zimmer schluchzen.
    Irgendwann klingelt das Telefon und jemand will Detective Thernstrom sprechen. Er unterhält sich eine Weile und kommt dann zurück und fragt mich, ob ich das Auto womöglich deswegen kenne, weil ich es jeden Tag sehe, jeden Tag im Cloverly Way, auf dem Schulweg, an den sechs Blöcken, die ich jeden Tag zweimal entlanggehe. Habe ich es dort schon einmal gesehen?
    Und ich merke, wie mir wieder Gedanken durch den Kopf schießen, aus irgendwelchen Ecken meines Gehirns.
    »Es ist ein Skylark, nicht wahr? Ein Buick Skylark?«, fragt er mich und zeigt auf das Foto eines glänzenden schwarzen Autos, das für mich aussieht wie jedes andere Auto.
    »Aber es war rotbraun«, will ich sagen, sage es aber nicht, weil ich weiß, dass das dumm klingt.
    Ich kneife die Augen zusammen und lege den Finger auf das Bild. Das ist das Auto. Das ist es.
    In diesem Moment weiß ich es auf einmal mit absoluter Klarheit. Ein Bild in meinem Kopf, von dem Auto, dem Mann, dem Mann in dem Auto.
    »Mr. Shaw«, sage ich. »Das Auto gehört Mr. Shaw.«

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    5.
    I ch habe die Worte ausgesprochen, ich habe seinen Namen genannt und auf das Bild irgendeines Buicks gezeigt. Ich habe es ausgesprochen, und auf einmal bricht Hektik aus.
    Ich weiß nicht, was passiert, aber alle bewegen sich durcheinander, und ein Detective telefoniert wieder und Detective Thernstrom spricht in der Ecke mit Mr. Verver, und Mr. Verver hört angestrengt zu, er starrt auf den Teppich und ballt immer wieder die Fäuste. Ich kann ihm nicht ansehen, ob ich, wie im Märchen, in einem hohlen Baum magischen Balsam gefunden habe, oder ob ich dafür gesorgt habe, dass sich unter uns die Erde auftut und wir alle ins Dunkel stürzen.
    »Shaws Frau hat auf dem Revier angerufen«, sagt Detective Thernstrom zu Mr. Verver.
    Ich sitze am Esstisch und schaue Bilder von Autos an. Einer der Deputys spricht mit mir, aber ich höre nicht zu, ich höre auf Detective Thernstroms langsame, ruhige Stimme und auf Mr. Ververs raue Ahas.
    »Sie hat gesagt, ihr Mann sollte eigentlich auf einer Versicherungstagung in der Provinz sein. Als er sich gar nicht gemeldet hat, hat sie im Hotel und bei der Tagungsleitung angerufen. Sie haben alle gesagt, er hätte gar nicht erst eingecheckt. Sie hat ihn seit zwei Tagen nicht gesehen.«
    »Und wir wissen, dass das sein Auto ist?«, fragt Mr. Verver mit scharfer und hektischer Stimme. »Harold Shaw. Den kenne ich – nicht gut, aber ich kenne ihn – seit zehn Jahren. Ist es sicher, dass das sein Skylark ist?«
    »Das ist seine Marke und sein Modell. Wenn das der Wagen ist, den sie gesehen hat, dann ist das ein Durchbruch. Zwei Beamte fahren gerade zu dem Tagungshotel. Wir haben die Fahndung rausgegeben. Wir befragen alle, die die Shaws kennen. Alle verfügbaren Kräfte sind damit beschäftigt … die Sache hat oberste Priorität.«
    Detective Thernstrom senkt die Stimme, und ich kann ihn kaum noch verstehen. Ich habe das Gefühl, er spricht über mich. Als würde er sagen Vielleicht weiß sie noch mehr. Vielleicht weiß sie alles.
    Aber da fängt der Deputy wieder an, mich zu löchern. »Wie schnell ist der Wagen gefahren? Bist du sicher, dass du ihn zweimal gesehen hast? Denselben Wagen?« Und ich kann gar nicht mehr denken, und manchmal werden ihre Stimmen wieder lauter, und ich höre Mr. Verver sagen: »Aber was kann ich denn da tun, was kann ich tun.«
    Dieser Laut, dieses Knarzen in seiner Kehle, so was habe ich noch nie von ihm gehört, und es hallt in mir nach, intensiv.
    Wenn ich mir jetzt den Skylark vorstelle, vor meinem inneren Auge, sehe ich Mr. Shaw hinter dem Steuer sitzen. Wobei der Wagen in meinem Kopf nicht mal mehr rotbraun ist, sondern schwarz, wie der in dem Buch, das sie mir gezeigt haben, das Bild hat sich in meinem Kopf festgesetzt.
    Ich sehe Mr. Shaw hinter dem Steuer.
    Mr. Shaw hat eine Aktentasche und trägt braune Slipper und Krawattennadeln. Er ist der Versicherungsvertreter meiner Mutter und der der Ververs. Er ist alt, auf diese sportsakkotragende Art von Mathelehrern und Schulleitern und Ärzten, Jahrzehnte älter, scheint es, als Mr. Verver.
    Mr. Shaw hat das verglaste Büro am Cloverly Way, genau da, wo die Straße steil abfällt. Wenn ich ihn mir vorstelle, sehe ich ihn dort. Ich bin auf

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