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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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und nichts mehr in ihrem Inneren versteckt ist, hinter ihren Augen. Nichts zerbrochen ist in ihr, nichts zerrissen, das er nicht sehen und wiedergutmachen könnte.
    Aber in Wahrheit geht es um mich. Ich will, dass sie es mir erzählt, es mir gibt, es fallen lässt, wie eine schimmernde Perle, in meine offene Hand.
    Er hat dich geliebt, Evie. Er ist für dich gestorben. Du musst es mir erzählen.
    Es erdrückt mich fast. Ich kann mich nicht beherrschen. Also sage ich es einfach.
    »Evie, erzähl es mir«, sage ich. »Erzähl es mir jetzt. Was ist zwischen dir und Mr. Shaw passiert?«
    Ich höre, wie sie tief Luft holt. »Lizzie«, sagt sie und schüttelt immer wieder den Kopf.
    »Wirst du es Dusty erzählen?« Die Worte kommen einfach so aus mir heraus und überraschen mich selbst.
    »Nein«, sagt Evie und regt sich plötzlich. »Warum sollte ich es Dusty erzählen?«
    Es war verrückt, das zu sagen. Dusty ist immer noch bei ihren Großeltern, ich habe die beiden nicht mal im selben Zimmer gesehen, seit Evie wieder da ist. Irgendetwas meldet sich in mir, als ich darüber nachdenke. Habe ich sie überhaupt mal irgendwo zusammen gesehen? Aber ich schiebe den Gedanken beiseite.
    »Es ist nur, sie hat mir gesagt, dass ihr ihn draußen gesehen habt«, sage ich. »Sie hat erzählt, ihr beide habt ihn da draußen immer beobachtet, unterm Birnbaum«, sage ich, und meine Stimme zittert plötzlich. Irgendetwas kommt mir auf einmal falsch vor. Irgendwas knirscht da.
    »Lizzie, wir haben ihn nie zusammen gesehen«, sagt sie, ihre Stimme klingt wieder kalt. Ruhig. Beherrscht, reserviert. »Kein Stück.«
    Ich bin ganz durcheinander im Kopf, ich denke die ganze Zeit, sie hat Angst, sie hat Angst, es mir zu erzählen.
    Und dann sage ich es: »Sie meint, du wusstest, dass er dich holen würde.«
    »Was«, sagt sie, setzt sich abrupt auf, fährt sich an den Hals, ans Kinn, ein paar verschwitzte Strähnen kleben dort.
    »Ist schon okay, wenn es stimmt. Ich würde es nie verraten«, verspreche ich, so eindringlich ich kann. »Keiner von uns hat es jemandem gesagt.«
    Sie beugt sich zu mir.
    »Lizzie, hör nicht auf sie«, sagt sie mit flehendem Unterton, als würde sie einem Kind etwas zu erklären versuchen. »Du verstehst das nicht.«
    »Was soll das denn heißen?«, frage ich und weiche zurück. »Natürlich verstehe ich das.«
    »Ich meine das mit Dusty«, sagt sie und weicht meinem Blick aus, und ich fühle mich irgendwie unerfahren. »Sie … Dusty versteht solche Sachen nicht.«
    »Aber ich verstehe sie«, sage ich und komme mir weise vor. »Ich verstehe, dass du ihn jede Nacht da unten stehen sehen hast und es niemandem erzählt hast.«
    »Lizzie, er hat mich nicht entführt«, sagt sie.
    Wir sind beide ganz still, wahrhaft verstummt. Man kann Dinge wissen, und man kann sie wissen, und das hier wusste ich, ganz tief drinnen, nicht wahr?
    »Ich bin mitgegangen«, sagt sie. »Ich bin mit ihm gegangen. Ich wollte es. Ich habe ihn darum gebeten, mich mitzunehmen.«
    Das sagt sie, und es fühlt sich an, als ob die ganzen verstreuten Puzzleteile mit einem Ruck an ihren Platz fallen. Ich spüre diesen Ruck und zittere fast.
    Natürlich.
    Ich wusste es doch.
    Es war gar keine Entführung.
    »Ich verstehe dich, Evie«, sage ich und versuche, meine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen, ganz fasziniert davon, wie sinnlich und verboten das alles ist. »Er hat dich so sehr geliebt. Es ist okay, wenn du ihn auch geliebt hast.«
    Denn das war das eigentliche Geheimnis, oder? Eigentlich fast kein Geheimnis.
    Du liebst ihn.
    Und jetzt kannst du es mir erzählen, und wir können wieder alles miteinander teilen, all diese privaten Geheimnisse. Dinge, die wir niemand anderem erzählen würden.
    Aber sie schüttelt erschöpft den Kopf, wie die älteste Frau der Welt.
    »So ist das nicht, Lizzie«, sagt sie und lächelt traurig, verloren. »Du verstehst das alles falsch.«
    Das ist ein Schlag ins Gesicht. Grausam.
    »Wie denn dann?«, frage ich, mein Gesicht brennt. Die Jüngste in der Gruppe, das Baby, über das alle die Augen verdrehen.
    Ihr Lächeln verschwindet, und sie legt mir die Hand auf. Und ich weiß, sie wird es tun. Sie wird es mir endlich erzählen. Aber plötzlich bin ich nicht mehr sicher, ob ich es hören will.
    »Ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hat«, sagt sie. »Nur, dass ich es eines Tages einfach wusste.«
    »Dass er dich beobachtet«, stottere ich.
    »Alles wusste«, sagt sie. »Ich weiß nicht, wie ich das

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