Das Ende der Welt (German Edition)
Großzügigkeit müsst ihr mir natürlich etwas bezahlen. Die Hälfte eures ersten Lohnes geht an mich. Noch Fragen?«
Wir schüttelten die Köpfe.
»Ich bin verloren«, heulte Roger, als wir auf dem Weg zu unserer Unterkunft waren. »Wieso zieht ihr mich da mit rein? Wenn sie euch erkennen, hängen sie mich mit auf.«
»Wir hatten keine Wahl«, sagte Leela ungerührt und stapfte weiter.
Verglichen mit unserer Hütte bewohnte Roger einen Palast. Wir hatten nur ein Zimmer. Auf dem Boden hatten sich kleine Pfützen gesammelt, da es durch das löchrige Dach unentwegt reinregnete. An einigen Stellen war der Waldboden durchgebrochen, Wurzel- und Flechtwerk hatten sich in die Hütte getastet. Die Farbe der Wände war unter dem Schimmel nicht mehr zu erkennen.
Möbel gab es keine. »Soll ich mal raten, wo wir die kaufen müssen?«, fragte Leela und gab auch gleich die Antwort: »Bei Maras.«
In einer Ecke lag eine tote Maus, in einer anderen eine tote Ratte.
»Immerhin, ihr seid neu und habt ein Haus für euch allein«, sagte Roger.
»Nicht ganz«, sagte ich und wies auf die unzähligen Tausendfüßler, die an den Wänden klebten.
»Die machen sich gut in der Suppe«, sagte er nur.
Anschließend brachte uns Roger in die Fabrikhalle, wo er uns dem Vorarbeiter, einem mürrischen Mann namens Clemens, vorstellte. Wegen des Maschinenlärms mussten wir uns schreiend verständigen.
»Du da«, brüllte Clemens eine Zeffrau an, die gerade vorbeiging. »Du bringst die da«, er zeigte auf Leela, »in die Wäscherei.« Die Frau gehorchte schweigend und verschwand mit Leela im dunstigen Licht der Halle.
»Komm mit«, befahl mir Clemens und eilte davon. Ich hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Die Zefs, die ich beobachtete, bewegten sich ebenfalls schnell, das schien in der Fabrik üblich zu sein. Unterwegs in eine weitere Halle fischte Clemens einen Kittel von einem Tisch und warf ihn mir zu.
Die andere Halle war noch größer als die vorige.
Riesige Öfen spuckten im Sekundentakt geschmolzenes Metall in große Kessel, in denen Zefs mit langen Stangen rührten wie in einem Suppentopf. Durch die Hitze beschlug meine Brille und ich verlor Clemens aus den Augen. »Wo bleibst du denn?«, schrie er aus einem Winkel der Halle. Als ich ihn erreicht hatte, zeigte er auf mehrere mannshohe Räder, die an einer Stange unter der Decke hingen und wie Käfige gebaut waren. Die Räder drehten sich und setzten Fließbänder in Bewegung, an denen Zefs in gekrümmter Haltung arbeiteten. Als ich mir die Räder genauer ansah, entdeckte ich, was sie antrieb: Kinder, die innen keuchend auf der Stelle rannten. Vielleicht sieben, acht Jahre alt.
»Die Bälger«, schrie Clemens gegen den Lärm an, »bestimmen deinen Rhythmus.«
Auf den Bändern rauschten Metallstücke vorbei. Meine Aufgabe war es, sie mit einer Metallbürste zu säubern, wobei ich mir ständig die Finger an den scharfen Kanten aufriss. Oder ich rutschte ab und fuhr mir mit der Bürste über die Hand, wo sie blutige Striemen hinterließ. Am Ende meiner Zwölfstundenschicht konnte ich kaum noch stehen, geschweige denn laufen. Mit dem Gedanken, nicht lange durchzuhalten, schleppte ich mich zu unserer Behausung, wo Leela bereits schnarchend auf einem Bündel alter Decken lag. Ihr Gesicht war rot und geschwollen, als sei es verbrannt. Erschöpft ließ ich mich neben ihr auf die Matratze fallen, die Roger uns besorgt hatte.
23
Wir schliefen bis zum Beginn unserer nächsten Schicht durch, erst die Sirene weckte uns. »Es ist so heiß in der Wäscherei«, stöhnte Leela und zeigte mir ihre verbrühten Hände, von denen sich die Haut schälte. »Ich will lieber im Wald wohnen«, klagte sie.
Auf dem Weg in die Fabrik aßen wir unser Frühstück: etwas vertrockneten Lauch und ein paar runzlige Kartoffeln.
Der zweite Tag war noch schlimmer als der erste, weil mir alles weh tat, durch die ungewohnten Bewegungen. Ich sah den Kindern zu, die in den Rädern liefen. Ihre Arme waren so dünn, dass ihre Gelenke aussahen wie Knoten in einem Strick.
Nach der Arbeit taumelte ich zur Hütte zurück. Niemand von den Zefs beachtete mich, es war, als hätte ich schon immer dazugehört.
Gähnend schnappte ich mir einen Eimer, ging zum Brunnen und stellte ihn unter den Hahn. Am Ende zählte die Wasseruhr achtzig Liter, obwohl in meinen Eimer höchstens fünfzig gingen. Maras wusste schon, wie er an sein Geld kam.
Leela hing müde auf unserem einzigen Stuhl. Das Radio lief: Die Kartoffelpreise
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