Das Ende der Welt (German Edition)
wichtigtuerisch und fuhr sich mit den Fingern durch den Bart.
»Die Regierung hat die Übernahme sämtlicher Fabriken im Land beschlossen. Die Besitzer sind hiermit enteignet. Ab sofort wird jeder Betrieb kommissarisch durch den Verwalter geleitet.«
Er sah von seinem Blatt auf und machte eine Pause.
»Versteht ihr nicht, die Blutsauger, die uns jahrelang ausgebeutet haben, sind weg.«
Zögernd applaudierten wir, bis Maras die Hand hob, um für Ruhe zu sorgen.
»Jeder von euch ist verpflichtet, seine Arbeit ruhig und besonnen weiterzuführen«, fuhr Maras fort. Dann leierte er noch einen ganzen Katalog von neuen Maßnahmen runter, wie der Steigerung der Produktivität oder einer Zwangsabgabe für die Armee. »Am Ende habe ich noch einen wichtigen Hinweis für euch«, sagte Maras und straffte sich. »Seid wachsam! Burger und seine Leute versuchen die momentane Lage für ihre Zwecke zu nutzen. Sie haben Leute eingeschleust, die Sabotageakte begehen sollen. Wer etwas Verdächtiges bemerkt, der kommt sofort zu mir. Außerdem«, er machte eine Pause, »werde ich euch alle im Auge behalten, besonders die Neuzugänge.«
Damit war die Versammlung beendet. Die Arbeiter standen in kleinen Gruppen zusammen und redeten leise.
Roger holte etwas zu trinken für uns, als Bertha auftauchte. »Da bist du ja«, sagte sie vorwurfsvoll zu Leela. »Du hast doch unser Treffen nicht etwa vergessen? Das wäre aber schade.«
»Ich wollte gerade kommen«, verteidigte sich Leela.
»Dann ist ja gut«, sagte Bertha. »Wir treffen uns im Tanzsaal«, fügte sie hinzu und rauschte ab.
»Die will ich lieber nicht zur Feindin haben«, flüsterte Leela, warf mir einen hilflosen Blick zu und eilte Bertha hinterher.
»Du hast eine sehr nette Freundin«, sagte ich zu Roger.
»Ja«, sagte er. »Bertha wird eine gute Ehefrau und Mutter werden.«
Als Leela in unsere Hütte zurückkam, lag ich im Halbschlaf auf meinem Lager und pulte Wanzen von meiner Haut. Leela schimpfte auf ihrer Seite des Vorhangs leise vor sich hin.
»Was ist los?«, wollte ich wissen.
Sie stöhnte. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie dumm diese Zefmädchen sind. Sie haben von der neuen Zeit geredet und davon, dass Cato unser Beschützer ist, der uns von der Schreckensherrschaft der Senatsbürger befreit hat.« Sie schnaubte. »Als ob wir sie unterdrückt hätten. Aber das stimmt doch gar nicht, oder?«
Ich schwieg.
»Haben wir sie wirklich unterdrückt?«, fragte Leela zweifelnd.
»Sie haben es anscheinend so empfunden«, wandte ich ein.
»Anscheinend hat jeder immer nur einen Teil des Ganzen gesehen, aber diese Teile haben sich nie als Ganzes empfunden.«
Ich verstand zwar nicht, wie sie das meinte, aber es hörte sich klug an, und deshalb brummte ich zustimmend.
»Es hieß immer: Die Senatsbürger sind das Hirn, die Armee die Faust und die Zefs die Füße«, fuhr Leela fort. »Und alle zusammen ergeben einen Körper.«
»Vielleicht wollen die Zefs ja auch mal das Hirn sein«, lachte ich.
»Ja, vielleicht sollten sie das. Obwohl, wenn ich mir Bertha als Gehirn vorstelle, läuft es mir kalt den Rücken runter.«
»So eine Art graue Masse ist sie ja schon«, sagte ich und lachte.
»Und dann machen sie auch noch Gedichte«, stöhnte Leela. »Und die sind so schlecht …«
Die nächsten Tage vergingen wie im Gleichschritt. Wir schleppten uns morgens zur Arbeit und abends zurück in unsere Behausung. Nach der Schicht mussten wir oft an Schulungen teilnehmen, auf der Maras über die neue Zeit redete.
Seine Frau hockte indessen wie eine Kröte in ihrem Laden und verkaufte ihre mangelhafte Ware zu überhöhten Preisen. Wir machten immer mehr Schulden bei ihr, so dass Maras witzelte, wir würden ihm schon fast gehören. Wobei ich bezweifelte, dass das wirklich ein Scherz war.
Er, seine Frau und die sechs froschäugigen Kinder waren mittlerweile in die Villa des ehemaligen Besitzers gezogen. Maras fing sogar an, sich in einer Uniform zu zeigen, ähnlich der von Cato. Und oft waren seine beiden Gehilfen dabei, die ihm wie Schatten folgten, ihren blutrünstigen Köter im Anschlag.
Ich hatte Maras und seine Leute im Verdacht, dass sie hinter Leela und mir herschnüffelten. Mehrmals sah ich sie ohne Vorwarnung auftauchen. Von da an waren wir noch vorsichtiger.
Von den Zefs hielten wir uns fern. Roger erklärte ihnen, dass wir Schlimmes erlebt hatten und lieber für uns wären.
Außerdem drehten sich ihre Gespräche sowieso nur um ihr armseliges Leben in der Fabrik.
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