Das Ende der Welt (German Edition)
Leela besser, das Fieber war gesunken. Ich fütterte sie mit etwas Moos, das ich an der Außenwand der Hütte entdeckt hatte. Sie war zu schwach, um sich zu wehren, und würgte es hinunter.
»Ich hatte einen Alptraum«, sagte sie. »Jemand hat ganz falsch gesungen und keinen Ton getroffen. Ich wollte schreien, dass er aufhören soll, aber ich konnte die Lippen nicht bewegen. Und dann hat er wieder von vorn angefangen. Wieder und wieder.«
»Das muss schrecklich gewesen sein«, sagte ich mit heiserer Stimme.
»Lass uns weiterziehen«, schlug Leela vor. »Wir sterben in der Kälte.«
Ich war dagegen, weil sie noch zu geschwächt war, musste aber einsehen, dass sie recht hatte. Wenn wir noch mehr Holz verbrannten, würde von der Hütte bald nichts mehr übrig sein. Wir schliefen noch ein wenig und machten uns gegen Mittag auf den Weg. Nachdem wir ein Stück zurückgelegt hatten, wurde es schlagartig wärmer. Ich hatte von diesen plötzlich auftretenden Kältezonen gehört, sie aber noch nie erlebt. Sie waren wie Inseln, in denen die Temperaturen auf den Nullpunkt gefallen waren. Niemand konnte sich das erklären.
Ich war so in Gedanken versunken, dass mir der Mutant zu spät auffiel. Er stand direkt vor uns und sah uns aus seinen kalten, dunklen Augen an. Er war ziemlich groß und braun und ging auf allen vieren. Riesige Dornen wuchsen ihm aus dem Kopf. Ich ging langsam rückwärts, während mich das Ungetüm fixierte.
»Bleib zurück«, warnte ich Leela und zog mein Messer.
Ich glaubte zwar nicht, damit etwas gegen diesen Riesen ausrichten zu können, aber ich wollte es wenigstens versuchen.
Leela gluckste und ging langsam auf das Wesen zu, wobei sie die Hand lockend ausgestreckt hielt.
»Bist du lebensmüde?«, zischte ich.
Leela achtete nicht auf mich und hielt dem Wesen einen Zweig hin. Es schnaubte, reckte Leela seinen Hals entgegen, schnupperte und knabberte dann sanft an den Blättern. Ich stand wie festgefroren. Mit einem Ruck riss der Mutant Leela den Zweig aus der Hand und kaute geräuschvoll. Als ein Vogel schrie, drehte sich das Wesen um und trabte majestätisch davon.
»Oh Mann!«, sagte Leela und sah mich mit feuchten Augen an. »Ich dachte, die wären ausgestorben.«
»Wer?«, fragte ich.
»Das war ein Hirsch.«
»Du kannst von Glück sagen, dass der Mutant dich nicht gefressen hat«, sagte ich.
Leela schüttelte den Kopf. »Diese Tiere fressen nur Blätter und Gras.« Sie lachte. »Der einzige Mutant weit und breit bist du.«
Ich lachte. Unsere Streitereien hatten mir gefehlt.
»Wie ist es in den Flüchtlingslagern?«, fragte Leela, als wir weitermarschierten.
»Schlimm«, antwortete ich. »Sie werden von einer Bande beherrscht, die sich die Bruderschaft nennt. Man erkennt sie an der tätowierten Wolfsangel am Hals. Sie waren früher Söldner, die für jeden gearbeitet haben, der ihnen genug zahlte. Aber sie waren gefürchtet und ließen sich nicht kontrollieren. Die Regierung hat ihnen die Aufsicht über die Flüchtlingslager gegeben, um sie ruhigzustellen. Da herrschen sie jetzt wie Fabrikbesitzer. Aber wenn man sich an die Regeln hält, lassen sie einen in Ruhe. Es geht ihnen nur ums Geld.«
Ein einziges Mal war ich in einem Lager gewesen, als wir einen Gefangenen abholen sollten. Weiter als bis zum ersten Tor hatte uns die Bruderschaft nicht gelassen.
Durch den Zaun hatte ich die windschiefen Zelte gesehen, vor denen abgemagerte und zerlumpte Gestalten hockten. Und über allem hing dieser süßliche Verwesungsgeruch. Nach einer Weile hatten uns die Sicherheitsleute den Verdächtigen halb totgeprügelt vor die Füße geschmissen. In einem Lager wurde man nicht alt, hieß es.
»Und wie finden wir im Lager die Schlepper?«, wollte Leela wissen.
»Sie werden uns finden«, erklärte ich. »So funktioniert das in der Regel. Man lässt ein paar Bemerkungen fallen und wartet darauf, dass sie zu den richtigen Leuten finden. Wie ein Stein, den man in einen See wirft und der immer größere Kreise auf der Wasseroberfläche erzeugt. Aber man muss sie bezahlen, und dazu müssen wir uns im Lager eine Arbeit suchen.«
Wir beschlossen uns künftig als Mann und Frau auszugeben, was uns etwas peinlich war. Außerdem waren wir jetzt nicht mehr aus dem Osten geflohen, sondern stammten aus der freien Republik Halle. Denn auch dort hatte sich in letzter Zeit der Krieg festgefressen wie ein Karren im Dreck.
»Du könntest dich Monger nennen«, schlug Leela vor. »So heißen viele.«
»Ja, so
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